Das Alien-Thema aus Ridley Scotts berühmtem gleichnamigen Film von 1979 existiert bereits in unzähligen verschiedenen, an den unterschiedlichsten real-irdischen und fiktiv-außerirdischen Handlungsorten angesiedelten Varianten: der aussichtslose Kampf des Menschen gegen eine dominante, ihm biologisch überlegene Lebensform rührt an eines der größten und hartnäckigsten Missverständnisse, die sich aus einer allzu oberflächlichen Auseinandersetzung mit den geistigen Errungenschaften der Aufklärung und des von ihr in Gang gesetzten Strebens nach wissenschaftlicher Weltdurchdringung ergeben haben. Denn auch wenn die Wissenschaft bei der Definition von intelligentem Leben heute wesentlich großzügiger ist als noch vor hundert Jahren, gilt der Mensch aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten immer noch als das am höchsten entwickelte Lebewesen. Dass ein anderes, möglicherweise noch unbekanntes Lebewesen ihm an biologischer Intelligenz, Durchsetzungskraft und Reproduktionsfähigkeit überlegen sein könnte, gilt nicht nur als vollkommen undenkbar, sondern ist unter der Oberfläche unseres zivilisatorischen Bewußtseins auch ein fundamentaler Auslöser von existenzieller Angst.
Die metaphorische Begegnung mit dem Alien als Archetyp des kaltblütigen Vernichters alles Menschlichen, sowohl des Konkret-Physischen als auch des Geistigen, darf somit durchaus auch als konsequente Weiterentwicklung von Joseph Conrads Reise ins „Herz der Finsternis“ gewertet werden: denn während dort der europäische Kolonialismus in Gestalt des skrupellosen Mr. Kurtz lediglich die menschenverachtende Brutalität eingebildeter weißer Überlegenheit über die schwarzafrikanische Umwelt symbolisiert, lernen wir hier eine im biologischen Sinne vollkommen neuartige außerirdische Lebensform kennen, die den Menschen tatsächlich nicht nur mühelos zu dominieren vermag, sondern sich auch in ihrem gleichsam „natürlichen“ absoluten Vernichtungswillen sämtlichen verstandesmäßigen menschlichen Maßstäben zu entziehen scheint. Es gehört indes zur üblichen Dramaturgie eines Hollywood-Blockbusters, dass am Ende dennoch wie durch ein Wunder meist das Prinzip des Menschlichen obsiegt.
Ein Feuer wird kommen, das deinen Namen kennt und im Angesicht der alles erdrückenden Frucht wird seine dunkle Flamme dich vollständig in Besitz nehmen.
Ein Feuer wird kommen, das deinen Namen kennt und im Angesicht der alles erdrückenden Frucht wird seine dunkle Flamme dich vollständig in Besitz nehmen.
Der erfindungsreiche und mit zahlreichen genretypischen Preisen ausgezeichnete amerikanische Fantastik-Schriftsteller Jeff VanderMeer variiert dieses bislang hauptsächlich in der Popkultur präsente Thema nun in einer fesselnden Mischung aus literarischem Psycho-Thriller und Öko-Science-Fiction in seiner großartigen neuen Trilogie „Southern Reach“ auf geradezu atemberaubende Art und Weise, indem er der absoluten Verlorenheit seiner Protagonistin, einer jungen Biologin, in der unverhofften Grenzsituation ihrer erzwungenen Kontaktaufnahme mit einer fremdartigen heterogenen Lebensform sowie ihrer eigenen durch Pilzinfektion der Atemwege ausgelösten fortschreitenden Metamorphose mit den verfeinerten Mitteln der Literatur Ausdruck verleiht. Dabei gelingt es dem Autor scheinbar mühelos und ohne Abstriche bei seiner eigenen künstlerischen Originalität machen zu müssen, zahlreiche bisherige cineastische und literarische Bearbeitungen des Themas im Leser unterschwellig auf reizvolle Art und Weise mitschwingen zu lassen. Und während wir im Film stets vom actionreichen Lauf der Handlung optisch überwältigt zu werden drohen, eröffnet uns Jeff VanderMeer die ebenso dankbare wie reizvolle Möglichkeit, die intellektuellen und emotionalen Reaktionen der Protagonistin als Prozess von ungewisser Ahnung bis zur schrecklichen Erkenntnis in mächtigen Sprachbildern und treffenden Metaphern nachzuvollziehen.
Jenseits einer mysteriösen „Grenze“, deren physische Natur der Autor während des gesamten Verlaufs des Buches in Übereinstimmung mit den Behörden stets im Numinosen belässt, befindet sich eine weitläufige, mehrere Quadratkilometer große militärische Sperrzone, die auf der äußersten Seite vom Ozean begrenzt wird. Unzählige Expeditionen sind im Verlauf der letzten Jahre bereits an der scheinbar simplen Aufgabe gescheitert, das einstmals von Menschen kultivierte, nun aber bereits seit mindestens einer Generation verlassene Gebiet ausführlich zu vermessen und zu kartieren sowie seine Flora und Fauna zu beschreiben. Diesem scheinbar überschaubaren Anforderungsprofil folgend, bricht zu Beginn des Romans eine weitere Expedition von vier Frauen zu Fuß in die geheimnisvolle Area X auf, zu der außer der leitenden Psychologin eine Vermesserin, eine Biologin (als Icherzählerin) und eine Anthropologin gehören. Kurze Zeit nachdem die vier Frauen im Anschluss an einen kräftezehrenden Tagesmarsch durch unberührte Natur ihr festgelegtes Basislager bezogen haben, werden sie auf einen offenbar tief in den Erdboden führenden Schacht aufmerksam, der in keiner bisherigen Karte verzeichnet ist und der wider jede Wahrscheinlichkeit aus organischem Material zu bestehen scheint. Bei einer ersten vorsichtigen Begehung des sich nach logischem Muster treppenähnlich hinabwindenden Ganges entdeckt die Biologin eine endlos mäandernde sinnfällige Schriftfolge an der Wand, die aus Moosen und Pilzen zu bestehen scheint und bei vorsichtiger Brührung Sporen absondert.
Wo liegt die alles erstickende Frucht die aus der Hand des Sünders erwuchs Ich werde die Saat der Toten gebären und mit den Würmern teilen die in der Dunkelheit sich versammeln und die Welt mit der Macht ihrer Leben umzingeln während in düsteren Gängen anderer Orte Formen die niemals waren und niemals sein durften sich mit der Ungeduld der Wenigen krümmen die nie erblickten was hätte sein können in den schwarzen Wassern über denen die Sonne um Mitternacht scheint werden die Früchte zur Reife kommen und im Dunkel dessen was golden ist aufbrechen und enthüllen die Offenbarung der verheerenden Sanftheit der Erde
Während der Nacht werden die vier Frauen von markerschütternden, menschlich klingenden Klagelauten aus dem naheliegenden Sumpf aufgeschreckt und am Weiterschlafen gehindert. Als am nächsten Morgen die Anthropologin spurlos verschwunden bleibt, bemerkt die Biologin während der eilends einberufenen Krisenbesprechung zu ihrer großen Überraschung, dass sie – vermutlich aufgrund ihrer vor den anderen Teammitgliedern verschwiegenen Sporeninfektion – gegen die erstaunlich häufig eingesetzten hypnotischen Befehle der Psychologin zur Beschwichtigung der Teilnehmerinnen immun geworden zu sein scheint, die sie zuvor gar nicht hatte wahrnehmen können. Der Titel des Buches „Auslöschung“, so stellt sich später heraus, ist eine Suggestionsformel der Expeditionsleiterin, die sofortigen Suizid auslösen soll. Dass die Psychologin weit mehr über den wahren Charakter des Sperrgebiets zu wissen scheint als sie zugibt, wird indes immer deutlicher.
Bei einem zweiten, tieferen Vorstoß in den Tunnel – die Biologin nennt ihn, einer spontanen Intuition folgend, den „Turm“, da er wie eine ins Erdinnere weisende, umgekehrte Kopie des wenige Kilometer entfernt stehenden Leuchtturms wirkt – findet sie gemeinsam mit der Landvermesserin die grausam verstümmelte Leiche ihrer verschwundenen Kollegin. Dieser ist es vor ihrem Tod offenbar noch gelungen, eine Gewebeprobe von jenem amorphen, eine schleimartige Substanz absonderden Wesen zu nehmen, von dem sie ermordet wurde und das allem Anschein nach auch für die biblisch-prophetisch klingenden Worte an den Wänden verantwortlich zeichnet. Die rätselhafte Probe wird sich später auf zellulärer Ebene zweifelsfrei als menschliche Gehirnmasse identifizieren lassen. Erschüttert kehren die beiden Wissenschaftlerinnen ins Basislager zurück, wo sie nun feststellen müssen, dass die Psychologin überstürzt geflohen ist und sämtliche Waffen und Nahrungsvorräte mitgenommen hat.
Und was hatte sich da manifestiert? Was glaubte ich? Stellt es euch als einen Dorn vor, einen langen, dicken Dorn, so groß, dass er sich tief in die Flanke der Welt gebohrt hat. Der sich selbst in die Welt injiziert. Von diesem gigantischen Dorn geht ein suchtartiger, vielleicht automatisierter Impuls aus, zu assimilieren und zu imitieren. Assimilat und Assimilant interagieren durch einen Katalysator, ein Worte-Skript, das der Motor der Transformation ist. Vielleicht ist es ein Lebewesen, das in perfekter Symbiose mit seinen Wirtskreaturen lebt. Vielleicht ist es auch „nur“ eine Maschine. Aber in beiden Fällen hat es Intelligenz, eine Intelligenz, die von unserer völlig verschieden ist. Sie schafft aus unserem Ökosystem eine neue Welt, deren Prozesse und Ziele uns völlig fremd sind – sie arbeitet auf einzigartige Weise mit Spiegelungen und indem sie auf vielfältigste Art im Verborgenen bleibt, und bei alldem gibt sie keinerlei Informationen über ihre Andersartigkeit preis, weil sie zu dem wird, auf das sie trifft.
Während die Biologin unverrichteter Dinge allein aufbricht, um auf eigene Faust den Leuchtturm zu erkunden, den sie für den einzig möglichen Fluchtpunkt der Expeditionsleiterin hält, verbleibt die militärisch ausgebildete Vermesserin mit dem einzigen funktionstüchtigen Sturmgewehr im Basislager, um die Stellung zu halten. Auf dem Weg zum Leuchtturm bemerkt die Biologin als weitere Auswirkung ihrer geheimnisvollen Sporeninfektion eine äußerst verfeinerte allumfassende Sinneswahrnehmung, die sie schließlich unfehlbar auch vor dem unerwarteten Mordversuch der Vermesserin mit ihrem Präzisionsgewehr bewahren soll. Und die sterbende Psychologin wird ihr wenig später sagen, dass sie sie selbst schon von weitem als lodernde Flamme auf den Leuchturm zuschreiten gesehen habe. In dem verlassenen, von einem erbitterten Kampf gezeichneten Gebäude findet sie außerdem die erschütternden schriftlichen Hinterlassenschaften sämtlicher früherer Expeditionen, deren fieberhafte stichprobenartige Auswertung sie schließlich unweigerlich zu einem erneuten Vorstoß in den umgekehrten Turm zwingt, um ihre furchtbare Theorie überprüfen zu können.
Jeff VanderMeer |
Als sie schließlich aus tiefsten Tiefen an die Oberfläche zurückkehrt, hat sie aus ihrer erschütternd- qualvollen, überwältigenden Begegnung mit dem symbolträchtigen unterirdischen Wesen in treffender Analogie zum archetypischen psychischen Prozess einer Nachtmeerfahrt trotz ihrer fortschreitenden körperlichen Transformation neue seelische Stärke und eine frische, unverstellte Sicht auf die brüchig gewordene Realität gewonnen.
Diesen Teil werde ich allein absolvieren, ich lasse alles hinter mir. Folgt mir nicht. Ich bin euch inzwischen weit voraus und sehr schnell unterwegs. Hat es überhaupt jemals jemanden wie mich gegeben, der die Toten begräbt, bereut, weitermacht, nachdem alle anderen tot sind? Ich bin das letzte Opfer sowohl der elften als auch der zwölften Expedition. Ich werde nicht nach Hause zurückkehren.
Der absolut begeisternde Auftaktband zu Jeff VanderMeers Southern Reach Trilogie ist nicht nur die reizvollste literarische Beschreibung einer körperlichen Metamorphose seit Franz Kafka, sondern auch eine der gelungensten literarischen Abhandlungen seit langem über die Begegnung des menschlichem Individuums mit der fremdartigen Welt seines persönlichen sowie des kollektiven Unbewussten. Gleichzeitig weist der Autor aber auch auf den Reichtum des Lebens der diesseitigen Welt. Mit der bestechenden wissenschaftlichen Beschreibung und Analyse der vermuteten Biologie und Wirkungsweise der von seiner furchtlosen Protagonistin entdeckten Lebensform sowie deren beängstigender, unwiderstehlicher Interaktion mit der Umwelt, deckt der Autor wie nebenbei einen wesentlichen Mangel in unserer eigenen beschränkten Weltsicht auf. Das von Jeff VanderMeer so virtuos heraufbeschworene Konzept eines Wesens, das in perfektem Einklang mit sich und seiner Umwelt lebt, ist ein absolutes literarisches Ereignis, dessen übergeordneten Sinnfälligkeit sich kein Leser zu entziehen vermag. Mit den umfangreichen handlungsbezogenen Implikationen und vielschichtigen philosophischen Fragestellungen von „Auslöschung“ ist nun das dankbare, weite Themenfeld für die beiden im Verlauf des nächsten Frühjahrs erscheinenden Folgebände gegeben – von hier aus ist buchstäblich alles möglich.
„Southern Reach Trilogie, Band I: Auslöschung“, aus dem Amerikanischen von Michael Kellner, erschienen bei Antje Kunstmann, 240 Seiten, € 14,95
Diesen Teil werde ich allein absolvieren, ich lasse alles hinter mir. Folgt mir nicht. Ich bin euch inzwischen weit voraus und sehr schnell unterwegs. Hat es überhaupt jemals jemanden wie mich gegeben, der die Toten begräbt, bereut, weitermacht, nachdem alle anderen tot sind? Ich bin das letzte Opfer sowohl der elften als auch der zwölften Expedition. Ich werde nicht nach Hause zurückkehren.
Der absolut begeisternde Auftaktband zu Jeff VanderMeers Southern Reach Trilogie ist nicht nur die reizvollste literarische Beschreibung einer körperlichen Metamorphose seit Franz Kafka, sondern auch eine der gelungensten literarischen Abhandlungen seit langem über die Begegnung des menschlichem Individuums mit der fremdartigen Welt seines persönlichen sowie des kollektiven Unbewussten. Gleichzeitig weist der Autor aber auch auf den Reichtum des Lebens der diesseitigen Welt. Mit der bestechenden wissenschaftlichen Beschreibung und Analyse der vermuteten Biologie und Wirkungsweise der von seiner furchtlosen Protagonistin entdeckten Lebensform sowie deren beängstigender, unwiderstehlicher Interaktion mit der Umwelt, deckt der Autor wie nebenbei einen wesentlichen Mangel in unserer eigenen beschränkten Weltsicht auf. Das von Jeff VanderMeer so virtuos heraufbeschworene Konzept eines Wesens, das in perfektem Einklang mit sich und seiner Umwelt lebt, ist ein absolutes literarisches Ereignis, dessen übergeordneten Sinnfälligkeit sich kein Leser zu entziehen vermag. Mit den umfangreichen handlungsbezogenen Implikationen und vielschichtigen philosophischen Fragestellungen von „Auslöschung“ ist nun das dankbare, weite Themenfeld für die beiden im Verlauf des nächsten Frühjahrs erscheinenden Folgebände gegeben – von hier aus ist buchstäblich alles möglich.
„Southern Reach Trilogie, Band I: Auslöschung“, aus dem Amerikanischen von Michael Kellner, erschienen bei Antje Kunstmann, 240 Seiten, € 14,95
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