Es
gibt nicht nur in literarischer Hinsicht kaum eine lohnendere
Perspektive auf das scheinbar gewöhnliche Alltägliche als die des
zu ehrlichem menschlichen Mitgefühl fähigen, kritischen
Randständigen oder vorurteilsfreien Außenstehenden. In einer
hochgradig unbewussten, affektgesteuerten Gesellschaft, die dem
Einzelnen fast täglich auf geradezu zwanghafte Art und Weise die
ohnmächtige Unterwerfung unter einen abstrakten, unausgesprochenen
staatsbürgerlichen Konsens abverlangt und ihn so zunehmend in eine
ebenso unbewusste, ganz und gar unversöhnliche negative Abgrenzung
treibt, droht die heilsam-bereichernde Position des unabhängigen
Beobachters, der die zahlreichen wohlfeilen und nützlichen
Konventionen des unnötigen und falschen Konsens zu ignorieren wagt,
gänzlich erdrückt und er selbst zum Außenseiter abgestempelt zu
werden, obwohl wir seiner Sichtweise am dringendsten bedürfen.
Der
hochentwickelte Buchmarkt in Deutschland hat zwei segensreiche
Werkzeuge hervorgebracht, um die im Handel schwer verkäufliche, aber
umso wesentlichere Position des randständigen, unabhängigen
Künstlers wirksam zu fördern und zu stützen: erstens, die vom
Gesetzgeber offiziell sanktionierte Buchpreisbindung, die den
Buchverlagen feste Preise für ihre hart kalkulierten, ästhetisch
schönen Produkte garantiert und den in der freien Wirtschaft
möglichen und üblichen Preisverfall des „Kulturguts Buch“
nachhaltig unterbindet sowie, zweitens, die sogenannte
Mischkalkulation der ambitionierteren Verlagshäuser, mit deren Hilfe
Bestsellererlöse die Pflege der schöngeistigen Literatur,
insbesondere der schwer verkäuflichen Lyrik, des Essays oder der
experimentellen Literatur effektiv mitfinanzieren. Trotzdem ist es in
den letzten Jahren immer schwieriger geworden, unabhängige
literarische Stimmen zu vernehmen, denn auch die renommiertesten
Literaturverlage sind angesichts kontinuierlich rückläufiger
Buchabsätze auf ihr ungeliebtes Dasein als Wirtschaftsunternehmen
zurückgeworfen worden.
89 WAR ER
Hatte Diabetes
Und ein ProstataGe
Schwür (inoperabel)
Sagt er noch vor allen
Im Café zu einer
Langjährigen Freundin:
Nie im Leben werde
Er mit ihrem Freund dem
Juden da an einen
Tisch sich setzen … hoffe
Auch dann nach dem Tode
Möglichst weit entfernt von
Ihm im Grab zu liegen
Da ein
Paradigmenwechsel zugunsten eines neuen privaten und/oder
Wirtschaftsmäzenatentums nach amerikanischem Vorbild hierzulande
noch nicht stattgefunden hat, es auch vor allem aufgrund der in
Deutschland weit verbreiteten Auffassung mittelfristig schwer haben
wird sich durchzusetzen: nämlich dass für so etwas der angeblich
„unabhängige“ Staat zuständig sei (wieso eigentlich
ausgerechnet der?), darf es nicht nur für die österreichische,
sondern auch für die deutschsprachige Literatur insgesamt als echter
Glücksfall betrachtet werden, dass sowohl die Bundesregierung
Österreichs als auch die einzelnen Bundesländer seit vielen Jahren
ein wirkungsvolles Fördersystem für unabhängige Verlage etabliert
haben, das mit Hilfe von objektiv einsehbaren, fest gestaffelten
Subventionen einen erheblichen Kostendruck von den Verlagen nimmt und
sie in die begrüßenswerte, komfortable Lage versetzt, auch solche
Literatur ohne unwägbares wirtschaftliches Risiko zu
veröffentlichen, deren kommerzielle Erfolgsaussichten auf den ersten
Blick eher bescheiden scheinen.
Wir
wünschen was wir nicht haben
Was
wir haben wünschen wir nicht
Sobald
wir haben was wir wünschen erlischt der Wunsch
Jede
Erfüllung eines Wunsches ist ein Erkalten
Jede
Erfüllung eines Wunsches ist ein Entleeren
Nur
unerfüllbare Wünsche erfüllen uns
Nur
unerfüllbare Wünsche wärmen uns
Zum Glück jedoch täuscht
der kleinliche und beschränkte Blick des Kommerzbuchhalters mit
seinen zahlreichen grüblerischen Bedenken oft genug: das wunderbare,
vor nicht allzu langer Zeit mit Hilfe von Subventionen des
Kanzleramts und weiteren Mitteln der Kunstförderung des Burgenlandes
unter dem Titel „Auf einem Teppich aus Luft/On a carpet made of
air“ zweisprachig in der edition lex liszt 12 in Oberwart
erschienene bisherige poetische Lebenswerk des vielfach
ausgezeichneten Wiener Schriftstellers, Dichters und Übersetzers
Hans Raimund (geboren 1945) liegt mittlerweile bereits in einer
zweiten Auflage vor und darf somit als besonders schönes und
geglücktes Beispiel dafür gelten, wie gute, wesentliche Literatur
schwerelos-zielsicher dennoch zu seinem verdienten Publikum findet,
wenn man es wagt, sich aktiv dafür einzusetzen.
Am Rand der Welt: Wegweiser in Duino |
Hans Raimund, geboren in
Petzelsdorf in Niederösterreich, aufgewachsen in Wien und nach einem
langjährigen Intermezzo im norditalienischen Duino heute mit
Zweitwohnsitz in Hochstraß im Burgenland ist nicht nur ein genuiner
und hoch origineller Schriftsteller und Lyriker, dessen persönliche
literarische (und biografische) Position der Essayist Karl-Markus
Gauß in seinem lesenswerten Vorwort zutreffend als grundsätzlich
randständig beschreibt, sondern als respektables Mitglied der
Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste auch ein
wunderbarer, engagierter und kommunikativer Mensch, der sich nicht
nur mit seiner ganzen persönlichen Integrität, sondern mitunter
sogar mit seinen privaten Mitteln für die Werke anderer
Schriftsteller einsetzt: so finanzierte er zuletzt die spektakuläre
Erstveröffentlichung der im Triester Dialekt verfassten und von ihm
selbst kongenial ins Deutsche übersetzten Gedichte des in Italien
bis heute zu Recht verehrten Dichters Virgilio Giotti wesentlich mit.
„DU
BIST WIE EINE ROSE...“
Hab
einmal mich gemüht dich samt
Den
Wurzeln aus dem Boden auszureißen
Doch
drinnen tief warst du ein umgekehrter Baum
Hans Raimunds langjähriges
unermüdliches Engagement als aktiver Teilnehmer an internationalen
Literaturübersetzerworkshops ermöglichte es ihm auch, seine
gesammelte Lyrik von renommierten befreundeten Übersetzern ins
Englische übersetzen zu lassen – zweifellos ein ausgesprochen
glücklicher Nebeneffekt seines menschlichen und künstlerischen
Schaffens, der nicht nur die vorliegende Ausgabe ungemein bereichert,
sondern auch der allgemeinen Verbreitung seines Werks ohne Zweifel
ausgesprochen förderlich sein wird. Besonders charakteristisch für
Raimunds literarischen Standpunkt, ist sein persönlicher Aufbruch in
die Provinz. In der Metropole Wien als Sohn eines bis an sein
Lebensende überzeugten Nazis aufgewachsen und bis Ende Dreißig fast
ausschließlich dort lebend, übersiedelte er im Jahr 1984 für zwölf
Jahre in die kleine Stadt Duino nahe Triest an der italienischen
Adriaküste. Heute lebt er, trotz eines weiteren Wohnsitzes in Wien,
fast ausschließlich im kleinen Dorf Hochstraß im Burgenland, nahe
der ungarischen Grenze.
Riserva naturale delle Falesie di Duino |
Hans Raimund ist einer,
der das Metropolitane wie selbstverständlich kennt, sich während
seiner ersten Lebenshälfte widerwillig darin bewegt hat, und es in
dieser Zeit ebenso ausgiebig wie misstrauisch beobachtet, politisch
ausgelotet und poetisch analysiert hat, um dann bewusst den Schritt
in die Provinz zu wagen. Schon als Heranwachsender hatte er sich
angesichts der unverbesserlichen politischen Haltung seines Vaters
insgeheim gewünscht, dass die deutlichen orientalischen Gesichtszüge
seiner Mutter heimlicher Ausdruck einer nur ihnen beiden gemeinsamen
zigeunerischer Abstammung sein mögen: ein möglicher magischer
Ausweg aus der eigenen Scham, zu der sein uneinsichtiger Vater
lebenslang niemals fähig war. Abseits des „Bedeutenden“ und
„Prächtigen“ und fern der abgeschmackten künstlichen
Geschäftigkeit alles Etablierten wurde Raimund aber nicht zum
unsteten Reisenden, wohl aber – am liebsten mit seinem jeweiligen
Hund – zum ausdauernden Spaziergänger an seinen langfristigen
Wohnorten.
FÜSSE
GLEITEN SCHLEIFEN
Tragen
Leiber weg von hier nach dort
Halten
ein
Schreiten
weiter
Durch
die Räume
So
behend
Der
Pflanze Starre übersteigend
Bewegung
ist zu spüren noch im Innehalten
Tief bis
in die Spitzen
in
des Lichtes Schraffen
Stet
der Drang
Nie
erlernte seit jeher gekonnte Schritte
Zu
gehen von hier nach dort
[…]
Eins
sind Tier und Pflanze
Nicht nur als
kontemplativer Fußgänger, sondern ganz besonders auch in seiner
Poesie hat Hans Raimund die wunderbare und nützliche Fähigkeit zu
einer erstrebenswerten Kunstform vervollkommnet, an einmal besuchte
Orte immer wieder zurückzukehren, mit diesen in einem lebendigen
inneren und – wenn möglich – äußeren Dialog zu bleiben und auf
diese Weise bis zum eigentlichen Kern ihres jeweiligen Wesens
vorzustoßen: durch den so bewusst hervorgerufenen, ebenso
andächtigen und genau beobachteten wie reflexiven Kreislauf des sich
Näherns, Zurücktretens und Wiederherantretens entsteht eine
ausgesprochen reizvolle, mehrdimensionale Perspektive, die durch die
warmherzige, empathische und stets zur Versöhnung bereite
Grundhaltung des Autors noch intensiviert wird. Raimunds Lyrik
vermisst das Leben somit nicht nur mit den Mitteln des logischen
Verstandes, sondern auch mit denen des (Mit-)Gefühls. In dieser
Hinsicht ist Raimunds unverwechselbares Werk selbst noch im scheinbar
Privaten immer auch politisch, indem es sich (aus verfeinerter
menschlicher Einsicht) der herrschenden Auffassung verweigert, die
Erscheinungsformen des inneren und äußeren Lebens isoliert und
unverbunden zu betrachten.
Hans Raimund/Foto: Übersetzerwerkstatt Erlangen |
In seinem
aufschlussreichen Nachwort offenbart sich der Autor sogar in noch
stärkerem Maße als in seiner Lyrik als politisch denkender Mensch,
etwa wenn er über sein Scheitern schreibt, sich mit Hilfe der von
ihm im Laufe der prägenden Wiener Jahre fest verinnerlichten
Verweigerungshaltung vor den rigiden Anforderungen des System zu
bewahren. Oder wenn er bekennt, dass er stets davor zurückgeschreckt
sei „Erfahrungen, Erlebnisse, Ereignisse, Begegnungen, die wichtig
für mich waren, bedenkenlos zu Literatur zu machen“. So müssen
uns leider die lebendigen Schilderungen seiner intensiven „auf
seltsame Weise symbiotischen Beziehung von mir und der Landschaft um
Duino“ endgültig vorenthalten bleiben – eine unerhörte Poesie
tatsächlich gelebter individueller Erfahrung, die allein dem
Menschen Hans Raimund vorbehalten bleibt. „Ein Teppich aus Luft“
ist nicht nur eine wunderbare, verdiente Würdigung eines intensiven,
bewusst gelebten Dichterlebens, das uns mit zahlreichen wertvollen
Perspektiven beschenkt, sondern auch ein beherztes, aussagekräftiges
Plädoyer für die unbedingte, vorbehaltlose Kunst- und
Literaturförderung – von welcher Seite auch immer.
„Auf einem Teppich aus Luft/On a carpet made of air“, erschienen bei edition lex liszt 12,
382 Seiten, € 25,-