Der
professionelle Fußball ist schon sehr lange ein einträgliches
Millionengeschäft – im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre ist
diese Tatsache jedoch so offensichtlich geworden, dass nicht wenigen
langjährigen Fans zumindest zwischenzeitlich die ganz große
Begeisterung verloren zu gehen droht, weil sie nicht zu Unrecht
argwöhnen, dass vielen einflussreichen Funktionären mittlerweile
das kalkulierte Geschäft wichtiger ist als die Schönheit und
Unberechenbarkeit des Spiels. Der Markt ist so unüberschaubar und
die Grenzen zu anderen Wirtschaftszweigen so unscharf geworden, dass
populäre Fußballer heute nicht mehr nur für Rasierapparate und
Rasenmäher werben, sondern auch für die unterschiedlichsten Arten
von Kosmetikprodukten. Fußball ist so sehr in den Blickpunkt einer
breiten, nach wertlosem inhaltsleeren Konsens strebenden
Öffentlichkeit gerückt, dass plötzlich selbst der Frage nach der
sexuellen Orientierung von Profifußballern größte
gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen wird, während die private
Rückzugsmöglichkeit des einzelnen Fans in die konzentrierte
Betrachtung des Spiels nahezu unmöglich geworden ist.
Football - The Beautiful Game |
Hinter
all diesen im Grunde abseitigen Problemstellungen drohen wir leider
allzu leicht zu vergessen, dass Fußball uns vor allem höchst
wirksam dazu einlädt, auf konzentrierteste Art und Weise Anteil an
der Gegenwart des Spiels zu nehmen, unmittelbar gleichzeitig zu sein
mit dem Geschehen und damit ganz bei uns und unserem eigenen Erleben
– eine geradezu ganzheitliche Erfahrung, die wir in unserem
täglichen Leben jenseits von esoterischen Zirkeln und spirituellen
Wochenendseminaren kaum noch selbst machen dürfen. In diesem
wunderbaren Phänomen liegt schließlich die unverwüstliche
Faszination des Fußballs begründet: sobald das Spiel beginnt,
dürfen wir ihm unsere ganze Aufmerksamkeit widmen und buchstäblich
alles andere vergessen – das reale Geschehen auf dem Platz hat am
Ende immer wieder die Kraft die beschriebenen Ärgernisse und
beklagenswerten Nebenschauplätze zu überwinden und uns
ausschließlich für das Spiel zu begeistern. In dieser Hinsicht kann
Fußball sogar eine wirksamere und universellere Schule des
menschlichen Erlebens mit allen Sinnen sein als das Lesen guter und
wesentlicher Literatur, denn ein fesselndes Buch simuliert lediglich
die ungeteilte Aufmerksamkeit, die wir unserem eigenen Leben widmen
könnten.
„Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.“ von Werner Skrentny
Nur die wenigsten Fans der
deutschen Fußballnationalmannschaft dürften sich der Tatsache
bewusst sein, dass in der eindrucksvollen Geschichte ihres Teams
nicht etwa Gerd Müller oder Miroslav Klose als Spieler mit der
höchsten durchschnittlichen Trefferquote gelten darf, sondern –
mit 2,17 Toren pro Spiel – der von den Nationalsozialisten aus
seiner badischen Heimat ins amerikanische Exil vertriebene jüdische
Mittelstürmer Gottfried Fuchs (1889-1972). Sein langjähriger
Sturmpartner im Nationalteam wie im Heimatverein, Julius Hirsch
(1892-1943), zweimaliger deutscher Meister und siebenmaliger
Nationalspieler, wurde dagegen brutal im Konzentrationslager
Auschwitz ermordet.
Der deutsche
Weltmeistertrainer von 1954, Sepp Herberger, der Hirsch und Fuchs in
seiner Jugend noch als umjubelte Spieler des Karlsruher FV gesehen
hatte, schwärmte noch am Ende seines Lebens von den beiden jüdischen
Offensivspielern:
Vor allem der
Karlsruher Innensturm mit Förderer, Fuchs, Hirsch, dem damals ein
sagenhafter Ruf vorausging, imponierte mir mit seinen technischen
Kunststückchen und bestechenden Kombinationszügen so sehr, dass ich
sie heute noch in der Erinnerung nachziehen könnte.
Der renommierte
Sportjournalist Werner Skrentny, Autor zahlreicher Bücher und
Artikel zur deutschen Fußballgeschichte, hat als Ergebnis
jahrzehntelanger privater Recherchen und gefördert von der
Kulturstiftung des DFB einen beeindruckenden, 352 Seiten starken Band
vorgelegt, der ganz dem Andenken des Fußballers und Menschen Julius
Hirsch gewidmet ist, dessen Leben sich mit der Machtübernahme der
Nationalsozialisten radikal änderte: Anfang 1933 musste die von
seinem Bruder in finanzielle Schwierigkeiten gebrachte elterliche
Firma „Deutsche Signalflaggenfabrik“, ein international führender
Hersteller unter anderem von Lederfußbällen, Konkurs anmelden.
Julius Hirsch (re.), Gottfried Fuchs (Mi.) im Dress des KFV |
Neben seiner Tätigkeit
als Trainer verschiedener Vereine gelang es Hirsch in der Folge nie
wieder, langfristig in einem bestimmten Beruf Fuß zu fassen, so dass
er bei seiner Deportation am 1. März 1943 im nationalsozialistischen
Amtsjargon lediglich als „Hilfsarbeiter“ geführt wurde, was in
letzter Konsequenz bewirkte, dass der bekennende Deutschnationale bei
der Selektion in Auschwitz weder als Fußballidol noch als ehemaliger
Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs und Träger des Eisernen Kreuzes
II. Klasse erkannt wurde, sondern als einer unter vielen unverzüglich
ins Gas geschickt wurde.
Diese menschenverachtende,
zynisch-rohe Brutalität, die nichts und niemanden achtet als die
eigene verquere lebensfeindliche Ideologie, verstört auch aus
zeitlicher Distanz immer wieder aufs Neue: sie muss in der Tat als
absoluter Tiefpunkt der modernen europäischen Geschichte gelten. So
darf man es als schöne, symbolträchtige Geste werten, dass der DFB
im Jahr 2005 den jährlich zu vergebenden Julius-Hirsch-Preis für
Toleranz und Menschenwürde ins Leben gerufen hat. Die Leistung von
Werner Skretny, der für sein wunderbares Buch sogar als Erneuerer
der Freundschaft zwischen den Familien von Julius Hirsch und
Gottfried Fuchs fungieren durfte, kann man kaum hoch genug bewerten.
„Julius Hirsch.Nationalspieler. Ermordet.“, erschienen im Verlag Die Werkstatt,
352 Seiten, € 24,90
„Wir haben noch das ganze Leben“ von Eshkol Nevo
Zum Endspiel der
Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich zwischen dem Gastgeber
und Brasilien haben sich vor dem häuslichen Fernseher in Tel-Aviv
vier Freunde um die dreißig versammelt, die sich bereits seit
Jugendtagen kennen und die bereits seit 1986 jedes Finale gemeinsam
anschauen. Dabei wird gefachsimpelt, getrunken, gescherzt und
gelacht, und aus einer spontanen Laune heraus entsteht die Idee,
jeder der vier solle seine drei wesentlichen Lebensträume auf einen
Zettel schreiben und in einem Umschlag verschließen – beim
nächsten Endspiel vier Jahre später wolle man dann sehen, was von
diesen Wünschen sich bis dahin tatsächlich verwirklicht habe.
Für den introvertierten
Erzähler Juval hängen alle drei Wünsche mit seiner anmutigen
Lebensgefährtin Ja’ara zusammen; der kauzige Amichai möchte eine
Naturheilpraxis eröffnen, und der nach Höherem strebende Ofir
endlich seinem verhassten Brotjob in der Werbeindustrie entsagen, um
einen Band mit Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Der ebenso
ehrgeizige wie zielstrebige Joav schließlich, genannt „Churchill“,
möchte eine glanzvolle Karriere in der Staatsanwaltschaft in Angriff
nehmen.
Was wie ein
belanglos-unterhaltender „Frauenroman für Männer“ in einem
leichten Plauderton beginnt, entfaltet sich schon bald auf
mitreißende Art und Weise zu einem sehr ambitionierten, im Erzählton
hoch authentischen literarischen Panorama der israelischen
Gesellschaft und ihrer wesentlichen Fragen, in dem der 1971 in
Jerusalem geborene Eshkol Nevo sich nicht nur als einer der
stilistisch-vielseitigsten und talentiertesten israelische
Schriftsteller der jüngsten Generation erweist, sondern auch den
hohen Erwartungen nach seinem selbst in Frankreich und Großbritannien
mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichneten Debüt „Vier
Häuser und eine Sehnsucht“ (2005) gerecht wird.
Ich dachte an Juvals
großes Verlangen, die „bahaiische Symmetrie“ herzustellen, und
daran, dass letzten Endes durchaus etwas dran sein konnte an den
Worten seines Workshopleiters, der Wunsch hier, an diesem Ort nach
der Harmonie eines Bahaiigartens zu streben, ähnele ein bisschen dem
Wunsch der israelischen Nationalmannschaft, sich für eine
Weltmeisterschaft zu qualifizieren: ein Bestreben das leider, leider
immer im Bereich des Wunsches bleiben wird.
Zwar ist sein von Markus
Lemke übersetzter zweiter Roman formal weit weniger
experimentierfreudig ausgefallen als sein vielstimmiger erster über
eine Haugemeinschaft in Jerusalem, der in seiner stilistischen
Variabilität an den frühen Abraham B. Jehoschua erinnerte, wenn
auch um ein vielfaches lyrischer im Ton, dennoch gelingt es dem Enkel
des ehemaligen israelischen Premierministers Levi Eshkol auch hier,
präzise, gut-beobachtete Alltagsbetrachtungen zu anspruchsvoller und
zugleich unterhaltsamer Literatur zu sublimieren und das
vordergründig banale Thema der Männerfreundschaft so sorgfältig,
einfühlsam und humorvoll auszuarbeiten, dass sie am Ende als
einziger gangbarer Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit
gesellschaftlicher Resignation erscheint.
Eshkol Nevo |
Denn am Vorabend der
Weltmeisterschaft 2002 ist plötzlich nichts mehr, wie es war: Ja’ara
hat eine die Freundschaft sprengende Affäre mit Churchill begonnen,
alle Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden mit den Palästinensern
sind zunichte, und Juval liegt nach einem gewalttätigen Zwischenfall
mit einem an einer posttraumatischen Störung leidenden ehemaligen
Angehörigen der israelischen Streitkräfte mit schweren
Gehirnverletzungen im Koma. Eshkol Nevos große Kunst ist es, keinen
der großen Konflikte der israelischen Gesellschaft auszusparen und
dennoch nicht in bittere Hoffnungslosigkeit zu verfallen:
„Wir haben noch das ganze Leben“, aus dem Hebräischen von Markus Lemke, erschienen bei
dtv, 436 Seiten, € 9,90
„Unten sind ein paar Typen“ von Antonio Dal Masetto
Die Grenzen zwischen
realer Bespitzelung und Paranoia sind fließend in einem
Überwachungsstaat, und das Opfer staatlicher Willkür läuft Gefahr,
sich in einer lähmenden Atmosphäre ständigen Selbstzweifels zu
verlieren und letztlich an seinem so erzeugten permanenten seelischen
Ausnahmezustand zu zerbrechen. Diese erniedrigende Erfahrung ist
allen Verfolgten totalitärer Regime gemein, ob sie es mit der
Gestapo zu tun haben oder mit der Stasi, mit dem KGB oder dem
argentinischen Geheimdienst.
Aber kaum ein
Schriftsteller hat dieser Atmosphäre allgegenwärtiger Bedrohung
jemals auf so elegante, spannende und treffende Weise literarische
Form verliehen wie der argentinische Schriftsteller Antonio Dal
Masetto, geboren 1938 am Lago Maggiore, in seinem meisterhaften
Kurzoman „Unten sind ein paar Typen“. Schon der klug gewählte
Titel des Buches führt uns mitten hinein in den stetig zunehmenden
Zweifel des Protagonisten: Pablos Freundin hat vor dessen Haus zwei
Männer in einem Auto entdeckt, die dort offensichtlich Stellung
bezogen haben, um das Gebäude zu observieren.
Es ist der Vorabend des
Fußballweltmeisterschaftsendspiels 1978, Argentinien gegen Holland,
Stromausfälle und Störungen des Telefonnetzes sind an der
Tagesordnung, eine unbestimmte, noch richtungslose Unruhe hat das
Land ergriffen. Man hört zuweilen, dass Nachbarn spurlos
verschwinden oder dass Leichen an der Küste an Land gespült werden.
Die Militärjunta erwartet von allen Staatsbürgern eine
bedingungslose Unterstützung des argentinischen Teams, man will die
sportliche Großveranstaltung nutzen, um Imagewerbung für das Land
zu betreiben.
Zunächst kann sich Pablo
nicht vorstellen, dass die Unbekannten möglicherweise hinter ihm her
sind, aber als er beschließt, sie unauffällig auf die Probe zu
stellen, muss er erleben, wie sich langjährige Freunde von ihm
abwenden und auch seine noch junge Liebesbeziehung plötzlich radikal
auf der Kippe steht. „Unten sind ein paar Typen“ ist die
konzentrierteste, hellsichtigste und gescheiteste literarische
Abhandlung über die Funktionsweise des Terrors, die man seit langem
lesen konnte.
„Unten sind ein paar Typen“, aus dem Spanischen von Susanna Mende, erschienen im
Rotpunktverlag, 146 Seiten, € 16,-
„Titelkampf“ – Fußballgeschichten der deutschen Autorennationalmannschaft
Am 6. Mai 2008 fand auf
einem Nebenplatz des Berliner Olympiastadions unter der
Schirmherrschaft des damaligen Bundesaußenministers Frank-Walter
Steinmeier und DFB-Präsident Theo Zwanziger ein denkwürdiges
Fußballspiel statt: die deutsche Autorennationalmannschaft,
Vizeweltmeister 2005 und Dritter von 2007, spielte zum ersten Mal
gegen das für diese Gelegenheit eigens und erstmals formierte Team
Israels. Zwar ging der Sieg mit 4:2 an das eingespieltere Team, doch
waren es für alle Beteiligten ohnehin am allerwenigsten sportliche
Belange, die sie zu diesem interessanten Projekt bewogen hatten.
Die herzliche Atmosphäre
während und nach dem Spiel sowie die am Abend danach stattfindende
gemeinsame Lesung der beiden Teams in den Kammerspielen des Deutschen
Theaters waren das beste Beispiel für die völkerverbindenden
Aspekte von Sport und Literatur. Es wäre schön gewesen, wenn aus
dieser beide Seiten so offensichtlich bereichernden Begegnung ein
Buchprojekt hätte entstehen können, da viele der teilnehmenden
israelischen Autoren bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden
sind.
Stattdessen wird sich der
Leser mit der ausgesprochen unterhaltsam zu lesenden Anthologie der
deutschen Autorennationalmannschaft begnügen müssen, deren Thema
allein das Spiel ums runde Leder ist. „Titelkampf“ ist die ideale
Lektüre für jeden Fußballfan, dem die O-Töne von Profifußballern,
Beiträge im TV und in Sportzeitschriften oder die Einschätzungen
anderer Gleichgesinnter in den Sportsbars zu banal sind. Erstaunlich
vielfältig sind die Texte von so unterschiedlichen Schriftstellern
wie Theaterautor Moritz Rinke, Stammtorwart Albert Ostermaier,
Regisseur Sönke Wortmann oder Stars der Berliner Lesebühnen wie
Jochen Schmidt oder Uli Hannemann: Satire, Reportage, ambitionierte
Kurzgeschichte oder Lyrik – es ist eine wahre Freude für den
anspruchsvolleren Fußballfan, sich auf so geistreiche und
unterhaltsame Art mit seinem Lieblingssport beschäftigen zu können.
Zwar hat sich der Fußball in den letzten Jahren auch in den
Feuilletons der großen überregionalen Zeitungen etabliert, aber für
wie viele spannende, bewegende und lustige Geschichten er wirklich
gut ist, sofern talentierte Schriftsteller davon erzählen, beweist
erst diese liebevoll zusammengestellte Anthologie.
„Titelkampf“,
erschienen bei Suhrkamp, 284 Seiten, € 8,90
„Doppelpass“ von Charles Lewinsky
Charles Lewinsky ist ein
literarisches Genie! Seit der für ihn im Alter von immerhin sechzig
Jahren erst relativ spät eingetretenen, gleichwohl hoch verdienten
internationalen Anerkennung infolge des Erscheinens seiner bisher in
zehn Sprachen übersetzten grandiosen deutsch-jüdischen
Familienchronik „Melnitz“ (2006) hat der langjährige erfahrene
Fernseh- und Theaterautor, Texter von Couplets und Ghostwriter aus
Zürich mit jedem seiner weiteren Werke nicht nur eine fabelhaft
umtriebige schöpferische Fantasie an den Tag gelegt, sondern immer
wieder auch eindringlich bewiesen, dass er sich auf geradezu virtuose
Art und Weise in nahezu jede literarische Gattung einzufühlen
vermag, um jeweils höchst überzeugende „wahre“ literarische
Abbilder der unterschiedlichsten Lebensrealitäten zu schaffen.
Wer kann schon von sich
behaupten, in China mit dem kurioserweise alljährlich vergebenen
Preis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres
ausgezeichnet worden zu sein? Charles Lewinsky ist sicherlich kein
bescheidener Autor, aber er hat auch absolut keinen Grund dazu: er
weiß genau, was er kann, und sein schriftstellerisches Talent ist so
offensichtlich, dass er getrost über seine hohen Ambitionen sprechen
darf, ohne als Aufschneider gelten zu müssen, etwa wenn er in der
kurzen Vorrede zu seinem Roman „Doppelpass“ bemerkt, die Form des
Fortsetzungsromans habe ihn „gereizt, weil sie schön schwierig
war. [...] Und weil sich eine ganze Menge großer Vorgänger auch
schon mit dem gleichen Problem herumgeschlagen haben: Charles
Dickens, Alexandre Dumas oder Arthur Conan Doyle – das ist doch
eine ehrenwerte Ahnenreihe.“
Das anachronistisch
wirkende Angebot, einen Fortsetzungsroman klassischen Zuschnitts zu
schreiben, kam von der renommiertesten Schweizer Wochenzeitschrift
Die Weltwoche; dort erschien der in der Buchausgabe 320 Seiten
umfassende Roman „Doppelpass“ im Verlaufe des letzten Jahres in
insgesamt fünfzig Folgen. Wenn Zeitungen – was auch heute noch
durchaus üblich ist – ihren Lesern Fortsetzungsromane anbieten,
sind das in aller Regel konventionelle, bereits vollständig und
gedruckt vorliegende Romane, die von der jeweiligen Redaktion um der
Fortsetzungsform willen nachträglich in homogene Teile zerlegt
werden. Der ebenso ehrgeizige wie experimentierfreudige Charles
Lewinsky hingegen hat vollkommen nach klassischem Vorbild gearbeitet
und jede einzelne Woche des Jahres ein vollständiges Kapitel von
10.000 Zeichen abgeliefert, wobei er sich zu Beginn seines Textes
über wenig mehr als das ungefähre Gerüst der Handlung im Klaren
war.
Die Lektüre von
„Doppelpass“ ist ein überaus humorvolles, geistreiches und
kurzweiliges – ja absolutes Lesevergnügen, was ohne Frage nicht
zuletzt der besonderen literarischen Form geschuldet ist, die ähnlich
wie amerikanische Fernsehserien einen Cliffhanger am Ende jedes
Kapitels sowie eine überraschende Auflösung am Beginn des folgenden
Abschnitts bedingt. Doch auch in sich sind die einzelnen Kapitel
kleine scharfsinnige Meisterwerke der satirisch-philosophischen
Alltagsbetrachtung. „Doppelpass“ ist die Geschichte des
gefeierten schwarzafrikanischen Fußballstars Tom Keita und seiner
ehrgeizigen, publicitysüchtigen Model-Verlobten Ilona, seines
Cousins Mike, der eines Tages als illegaler Einwanderer vor seiner
Tür steht, sowie die Geschichte des populistischen Politikers
Eidenbenz, Präsident von Keitas Fußballklub – ein absurder
Jahrmarkt der Eitelkeiten, der die Mechanismen von Politik und
geschäftsmäßigem Profisport gekonnt entlarvt und auf die Spitze
treibt.
„Doppelpass“,
erschienen bei dtv, 320 Seiten, € 9,90
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