Jerusalem

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Samstag, 1. März 2014

„Überraschung“ von Mies van Hout


Die regenbogenfarben-neonleuchtenden intensiven Farbwelten, die die niederländische Künstlerin und Illustratorin Mies van Hout (geboren 1962) in ihrer unnachahmlichen charakteristischen Bildsprache immer wieder aufs Neue wie aus dem sprichwörtlichen Nichts ihres bevorzugten Bildhintergrunds aus gewöhnlichem schwarzem Tonkarton im Bewusstsein des faszinierten Betrachters explodieren lässt, wirken wie in seltener künstlerischer Hellsichtigkeit manifestierte Verkörperungen archetypischer Seelenbilder, die für einen kurzen, greifbar-gegenwärtigen Moment intuitiven Verstehens aus dem Dunkel des kollektiven Unbewussten zu uns heraufgestiegen sind, um sich schon bald wieder – spätestens jedoch beim nächsten Umblättern – wieder an diesen verstandesmäßig nur schwer zugänglichen Ort zurückzuziehen. Mit nicht wenig Berechtigung ließe sich sogar behaupten, dass die Künstlerin auf diese Art und Weise sogar ein so komplexes Gefühl wie „Glück“ im Betrachter zu spiegeln vermag.



Dieser von der ausgebildeten Kunstpädagogin unter Umständen in diesem Maße weder intendierte noch vorausgesehene, jedoch ohne Zweifel weit über das Genre des Bilderbuchs hinausweisende erfreuliche Nebeneffekt macht ihre unscheinbaren Kunstwerke auch für den erwachsenen Leser so überaus kostbar – auf die zahlreichen naheliegenden Möglichkeiten, Mies van Houts Bilder etwa auch zu therapeutischen oder meditativ-selbstreflexiven Zwecken einzusetzen, ist bereits angesichts ihrer ersten in ihrem charakteristischen Stil gestalteten Buchveröffentlichung „Heute bin ich“ (2012) ausführlich hingewiesen worden: einem mit über 80.000 verkauften Exemplaren, mittlerweile in sechster Auflage lieferbarem veritablen Überraschungsbestseller, der im vergangenen Jahr vollkommen zu Recht für den renommierten Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie „Sachbuch“ nominiert war.

Ihr allerneuestes soeben in deutscher Übersetzung erschienenes Buch „Überraschung“ ist sogar in noch viel stärkerem Maße als visuelle Entdeckungsreise für erwachsene Leser angelegt als das ganz der reichen Vielfalt zum Teil unbewusst von der Gesellschaft reglementierter menschlicher Emotionen und Affekte gewidmete „Heute bin ich“ – denn im neuesten Werk der genuinen Künstlerin geht es um die möglicherweise „erwachsenste“ und respektabelste, gleichzeitig jedoch auch natürlichste, vielleicht beglückendste und lohnendste, jedoch dabei gleichermaßen schwer in Worte zu fassende wie zu gestaltende Themenstellung, die es auf der Welt gibt: das Abenteuer der Elternschaft im Allgemeinen sowie der Mutterschaft im Besonderen.


Mies van Hout


Während sich Mies van Hout für ihr wunderbares Buch über die menschlichen Emotionen ausgerechnet die in der breiteren Öffentlichkeit nicht gerade als extrovertierte Stimmungskanonen bekannte Spezies der Fische als unerwartete genialische Protagonisten ausgesucht hatte, ist es im nicht weniger faszinierenden zweiten Folgeband passenderweise die für ihr ausgeprägtes Brutverhalten zu Recht berühmte Wirbeltierklasse der Vögel, die dank der unnachahmlichen Kunst der Illustratorin in allen Regenbogenfarben und wie in universeller, nach außen gestülpter strahlender Innerlichkeit ihr Federkleid für uns herausputzen darf. Auf der ersten Doppelseite ist es zunächst noch das „Wünschen“, das dem zeichnerisch auf seine unspezifische Urform reduzierten Vögelchen als bunte Kinderschar im leuchtenden Gefieder hängt.




Im wunderbaren visuellen Reigen charakteristischer Wegmarken menschlicher Elternschaft darf der Leser in zauberhaft-intuitivem Wiedererkennen so wesentliche Stationen rekapitulieren wie die anfängliche ambivalente Erwartung zwischen Ungewissheit und Hoffnung, das freudig-entgrenzte Staunen über das Wunder der Entstehung neuen Lebens bis hin zum Prozess des von zahlreichen alltäglichen Einzelaspekten wie Zuhören, Trösten oder Ermuntern geprägten Aufziehens der Neugeborenen, das schließlich, ganz am Ende des Buches im unvermeidlich-unwiderruflichen elterlichen Loslassen münden muss, das die Illustratorin in einem bereits über mehrere Doppelseiten hinweg kunstvoll vorbereiteten vielflügeligen Aufbruch der Jungvögel vor blauem Hintergrund im Kontrast zum liebevoll-melancholischen Verharren der Mutter auf schwarzem Grund hoffnungsvoll ausklingen lässt. Die unaufdringliche Sensibilität und unmittelbar zu Herzen gehende poetische Wahrhaftigkeit der unnachahmlichen Pastellzeichnungen Mies van Houts werden ihr bezauberndes kleines Buch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu einem absoluten Dauerbrenner als ideales Geschenk für junge oder werdende Mütter machen.

„Überraschung!“, erschienen bei Aracari, 32 Seiten, € 13,90

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