Jerusalem

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Freitag, 17. Januar 2014

Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2014 an Pankaj Mishra

Pankaj Mishra ist ein ausgesprochen würdiger Preisträger des alljährlich im Frühjahr anlässlich der Leipziger Buchmesse vergebenen Sachbuchpreises zur Europäischen Verständigung. Sein in doppelter Hinsicht aktuelles, im vergangenen Herbst unter großem beifälligen Blätterrauschen der Feuilletons erschienenes epochales, umfangreiches Essay „Aus den Ruinen des Empires – Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ ist ein ebenso eleganter wie faktenreicher, vor allem aber geistreicher, beherzter und somit überaus gelungener Versuch, der träge-ignoranten, ererbten Überheblichkeit unserer egozentrischen westlichen Weltsicht, die noch heute die Errungenschaften von Aufklärung und Industrialisierung als singuläre Großtaten der menschlichen Zivilisation feiert, eine Reihe von scharfsinnigen Antworten hierzulande kaum bekannter Geistesgrößen des Ostens entgegenzusetzen, die uns auf unterhaltsame und aufrüttelnde Art und Weise ein fundiertes Verständis jener gesellschaftlichen Prozesse liefern, die das Verhätnis von Osten und Westen im Zwanzigsten Jahrhundert geprägt haben.

Das erste Jahrzehnt [des Einundzwanzigsten Jahrhunderts] ist bereits durch den Krieg gegen den Terrorismus verunstaltet worden. Im Rückblick jedoch könnte er sich als bloßes Vorspiel zu größeren und blutigeren Konflikten um wertvolle Rohstoffe und Erzeugnisse erweisen, auf die in Modernisierung begriffene wie auch bereits moderne Volkswirtschaften angewiesen sind. Die hinter dem Streben nach endlosem Wirtschaftswachstum stehende Hoffnung – dass Milliarden von Konsumenten in Indien und China eines Tages denselben Lebensstandard haben werden wie Europäer und Amerikaner – ist eine ebenso absurde und gefährliche Phantasie wie die Träume von al-Qaida. Sie verdammt die globale Umwelt dazu, bald zerstört zu werden, und schafft ein gewaltiges Reservoir an nihilistischer Wut und Enttäuschung bei vielen Hundertmillionen Habenichtsen – das bittere Ergebnis des weltweiten Triumphs der westlichen Moderne, das die Rache des Ostens bedrohlich zweideutig erscheinen lässt und all seine Siege in wahrhafte Pyrrhussiege verwandelt.



Dabei wird schon allein am bisherigen Lebensweg des begabten Autors deutlich, dass ein Preis für Europäische Verständigung im Grunde viel zu eng bemessen ist für Pankaj Mishras geradezu weltenumarmende, stets vom Prinzip der Versöhnung beseelten Themenstellung. Der 1969 in Jhansi/Nordindien geborene Schriftsteller, Buchlektor und Literaturkritiker ist ein wahrhafter Wanderer zwischen den Kulturen – physisch wie gedanklich –, der zwei vollkommen gegensätzliche Wohnsitze in London und dem kleinen Dorf Mashobra an den Nordhängen des Himalaya unterhält und der sich in den vergangenen zwanzig Jahren vor allem einen Namen als brillanter Denker und glänzender Essayist gemacht hat, der von rein literarischen oder philosophischen Fragestellungen über die historische Gestalt des Religionsstifters Buddha bis zum modernen China oder Indien nahezu jedes Thema als überaus begabter Stilist nicht nur mühelos zu beherrschen scheint, sondern dabei auch stets liebenswürdig und unterhaltsam bleibt.


Pankaj Mishra/Foto: Nina Subin

This is the biggest book since „Midnight's Children“!

Nur wenige Leser scheinen sich jedoch zu erinnern, dass Mishra 1996 als Lektor bei HarperCollins den bislang mit Abstand größten Bucherfolg einer indischen Schriftstellerin auf dem internationalen Buchmarkt mit seiner begeisterten Expertise ursächlich einleitete, den in englischer Sprache verfassten autobiografischen Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ von Arundhati Roy, dessen Rechte auf Anhieb in 21 Länder verkauft werden konnten und der neben zahlreichen anderen Auszeichnungen im Jahr 1997 vollkommen zu Recht mit dem renommierten Booker Prize bedacht wurde. Doch auch ihr Entdecker veröffentlichte zwei Jahre später einen bemerkenswerten zärtlich-ironischen Liebes- und Entwicklungsroman, der in der deutschen Erstausgabe „Benares oder Eine Erziehung des Herzens“ (2001), in der lange überfälligen und erst sieben Jahre später veröffentlichten, jedoch in Deutschland leider gleichermaßen unbeachtet gebliebenen Taschenbuchausgabe durchaus werkgetreu „Die Romantischen“ hieß.

Wenn man in den Zwanzigern ist, können sieben Jahre eine lange Zeit sein – vor allem, wenn man ein zurückgezogenes Leben führt, wenn man weder Ehrgeiz noch Liebe kennt noch irgendeiner anderen für dieses Alter typischen Beschäftigung nachgeht.

In diesem wunderbaren, heiter-melancholischen, leichtfüßigen Roman ließ Mishra in Stadt Benares verschiedene, höchst unterschiedliche Protagonisten aus verschiedenen Kulturkreisen aufeinandertreffen, die allesamt – wenn auch auf individuell unterschiedliche Weise – ihr vermeintliches Lebensglück in jeweils anderen Kulturen als ihren eigenen suchten. Im Mittelpunkt des Buches steht der weltfremde junge Inder Samar, ein schüchterner, zurückhaltender Büchernarr, der sich durch die unglückliche Liebe zu der jungen französischen Backpackerin Catherine erstmals vollends dem Leben zu öffnen vermag. Da Pankaj Mishra schon in diesem ersten Roman sein schriftstellerisches Lebensthema gefunden hatte, das er mittlerweile durch zahlreiche brillante Essays eindrücklich untermauert hat, bleibt zu hoffen, dass mit dem verdienten Rückenwind des schönen Leipziger Buchpreises auch sein einziges belletristisches Werk wieder veröffentlicht und vielleicht erstmals von einem größeren Publikum in Deutschland entdeckt und gewürdigt werden kann.

Die Welt erneuert sich ständig; und unter diesem Aspekt betrachtet erscheinen Bedauern und Nostalgie gleichermaßen müßig. Aber die Vergangenheit lebt weiter, in den Menschen ebenso wie in den Städten. Ich brauche nur auf diesen Winter in Benares zurückzuschauen, um zu erkennen, wie schwer es ist, loszulassen.


Abendstimmung in Benares/Varanasi


Es ist erfreulich, dass in diesem Jahr ein ebenso sanfter wie kämpferischer Spezialist für zunächst intellektuell verinnerlichte, aber auch tatsächlich gelebte interkulturelle Verständigung und Versöhnung mit dem Leipziger Buchpreis bedacht wird, der mit seinem eindrucksvollen Preisgeld von 15.000 EUR weit mehr als eine bloße Anerkennung von rein ideellem Wert darstellt, sondern für einen originellen, in höchstem Maße begabten Schriftsteller und scharfsinnigen Denker als wunderbare, unverhoffte künftige wirtschaftliche Arbeitsgrundlage gelten darf.


„Aus den Ruinen des Empires“, aus dem Englischen von Michael Bischoff, erschienen bei S. Fischer, 448 Seiten, € 26,99

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