Pankaj
Mishra ist ein ausgesprochen würdiger Preisträger des
alljährlich im Frühjahr anlässlich der Leipziger
Buchmesse vergebenen Sachbuchpreises zur Europäischen
Verständigung. Sein in doppelter Hinsicht aktuelles, im
vergangenen Herbst unter großem beifälligen
Blätterrauschen der Feuilletons erschienenes epochales,
umfangreiches Essay „Aus den Ruinen des Empires – Die Revolte
gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ ist ein ebenso
eleganter wie faktenreicher, vor allem aber geistreicher, beherzter
und somit überaus gelungener Versuch, der träge-ignoranten,
ererbten Überheblichkeit unserer egozentrischen westlichen
Weltsicht, die noch heute die Errungenschaften von Aufklärung
und Industrialisierung als singuläre Großtaten der
menschlichen Zivilisation feiert, eine Reihe von scharfsinnigen
Antworten hierzulande kaum bekannter Geistesgrößen des
Ostens entgegenzusetzen, die uns auf unterhaltsame und aufrüttelnde
Art und Weise ein fundiertes Verständis jener gesellschaftlichen
Prozesse liefern, die das Verhätnis von Osten und Westen im
Zwanzigsten Jahrhundert geprägt haben.
Das
erste Jahrzehnt [des Einundzwanzigsten Jahrhunderts] ist bereits durch
den Krieg gegen den Terrorismus verunstaltet worden. Im Rückblick
jedoch könnte er sich als bloßes Vorspiel zu größeren
und blutigeren Konflikten um wertvolle Rohstoffe und Erzeugnisse
erweisen, auf die in Modernisierung begriffene wie auch bereits
moderne Volkswirtschaften angewiesen sind. Die hinter dem Streben
nach endlosem Wirtschaftswachstum stehende Hoffnung – dass
Milliarden von Konsumenten in Indien und China eines Tages denselben
Lebensstandard haben werden wie Europäer und Amerikaner – ist
eine ebenso absurde und gefährliche Phantasie wie die Träume
von al-Qaida. Sie verdammt die globale Umwelt dazu, bald zerstört
zu werden, und schafft ein gewaltiges Reservoir an nihilistischer Wut
und Enttäuschung bei vielen Hundertmillionen Habenichtsen –
das bittere Ergebnis des weltweiten Triumphs der westlichen Moderne,
das die Rache des Ostens bedrohlich zweideutig erscheinen lässt
und all seine Siege in wahrhafte Pyrrhussiege verwandelt.
Dabei
wird schon allein am bisherigen Lebensweg des begabten Autors
deutlich, dass ein Preis für Europäische Verständigung
im Grunde viel zu eng bemessen ist für Pankaj Mishras geradezu
weltenumarmende, stets vom Prinzip der Versöhnung beseelten
Themenstellung. Der 1969 in Jhansi/Nordindien geborene
Schriftsteller, Buchlektor und Literaturkritiker ist ein wahrhafter
Wanderer zwischen den Kulturen – physisch wie gedanklich –, der
zwei vollkommen gegensätzliche Wohnsitze in London und dem
kleinen Dorf Mashobra an den Nordhängen des Himalaya unterhält
und der sich in den vergangenen zwanzig Jahren vor allem einen Namen
als brillanter Denker und glänzender Essayist gemacht hat, der
von rein literarischen oder philosophischen Fragestellungen über
die historische Gestalt des Religionsstifters Buddha bis zum modernen
China oder Indien nahezu jedes Thema als überaus begabter
Stilist nicht nur mühelos zu beherrschen scheint, sondern dabei
auch stets liebenswürdig und unterhaltsam bleibt.
Pankaj Mishra/Foto: Nina Subin |
This
is the biggest book since „Midnight's Children“!
Nur
wenige Leser scheinen sich jedoch zu erinnern, dass Mishra 1996 als
Lektor bei HarperCollins den bislang mit Abstand größten
Bucherfolg einer indischen Schriftstellerin auf dem internationalen
Buchmarkt mit seiner begeisterten Expertise ursächlich
einleitete, den in englischer Sprache verfassten autobiografischen
Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ von Arundhati Roy, dessen
Rechte auf Anhieb in 21 Länder verkauft werden konnten und der
neben zahlreichen anderen Auszeichnungen im Jahr 1997 vollkommen zu
Recht mit dem renommierten Booker Prize bedacht wurde. Doch auch ihr
Entdecker veröffentlichte zwei Jahre später einen
bemerkenswerten zärtlich-ironischen Liebes- und
Entwicklungsroman, der in der deutschen Erstausgabe „Benares oder
Eine Erziehung des Herzens“ (2001), in der lange überfälligen
und erst sieben Jahre später veröffentlichten, jedoch in
Deutschland leider gleichermaßen unbeachtet gebliebenen
Taschenbuchausgabe durchaus werkgetreu „Die Romantischen“ hieß.
Wenn
man in den Zwanzigern ist, können sieben Jahre eine lange Zeit
sein – vor allem, wenn man ein zurückgezogenes Leben führt,
wenn man weder Ehrgeiz noch Liebe kennt noch irgendeiner anderen für
dieses Alter typischen Beschäftigung nachgeht.
In
diesem wunderbaren, heiter-melancholischen, leichtfüßigen
Roman ließ Mishra in Stadt Benares verschiedene, höchst
unterschiedliche Protagonisten aus verschiedenen Kulturkreisen
aufeinandertreffen, die allesamt – wenn auch auf individuell
unterschiedliche Weise – ihr vermeintliches Lebensglück in
jeweils anderen Kulturen als ihren eigenen suchten. Im Mittelpunkt
des Buches steht der weltfremde junge Inder Samar, ein schüchterner,
zurückhaltender Büchernarr, der sich durch die unglückliche
Liebe zu der jungen französischen Backpackerin Catherine
erstmals vollends dem Leben zu öffnen vermag. Da Pankaj Mishra
schon in diesem ersten Roman sein schriftstellerisches Lebensthema
gefunden hatte, das er mittlerweile durch zahlreiche brillante Essays
eindrücklich untermauert hat, bleibt zu hoffen, dass mit dem
verdienten Rückenwind des schönen Leipziger Buchpreises
auch sein einziges belletristisches Werk wieder veröffentlicht
und vielleicht erstmals von einem größeren Publikum in
Deutschland entdeckt und gewürdigt werden kann.
Die
Welt erneuert sich ständig; und unter diesem Aspekt betrachtet
erscheinen Bedauern und Nostalgie gleichermaßen müßig.
Aber die Vergangenheit lebt weiter, in den Menschen ebenso wie in den
Städten. Ich brauche nur auf diesen Winter in Benares
zurückzuschauen, um zu erkennen, wie schwer es ist, loszulassen.
Abendstimmung in Benares/Varanasi |
Es
ist erfreulich, dass in diesem Jahr ein ebenso sanfter wie
kämpferischer Spezialist für zunächst intellektuell
verinnerlichte, aber auch tatsächlich gelebte interkulturelle
Verständigung und Versöhnung mit dem Leipziger Buchpreis
bedacht wird, der mit seinem eindrucksvollen Preisgeld von 15.000 EUR
weit mehr als eine bloße Anerkennung von rein ideellem Wert
darstellt, sondern für einen originellen, in höchstem Maße
begabten Schriftsteller und scharfsinnigen Denker als wunderbare,
unverhoffte künftige wirtschaftliche Arbeitsgrundlage gelten
darf.
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