Jerusalem

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Freitag, 29. November 2013

„Eines Abends im Winter“ von Esther Kinsky und Sarah Fricke

Eine angesichts der beginnenden vorweihnachtlichen Hektik hoch willkommene, wundervolle Entschleunigung mit poetischen Mitteln verschafft uns die vielseitige Lyrikerin, Schriftstellerin und literarische Übersetzerin Esther Kinsky in ihrem bereits vor zwei Jahren erschienenen, von der jungen talentierten Hallenser Illustratorin Sarah Fricke liebevoll in Szene gesetzten Bilderbuch „Eines Abends im Winter“, das als unerwartete akustische Zugabe eine liebevoll von der Autorin selbst eingesprochene und von der Potsdamer Singakademie mit kindlich-ungekünsteltem musikalischen Charme begleitete Hörbuch-CD enthält, die die meditativ-weltenrückte Ausstrahlung von Kinskys unscheinbarem Text sogar noch zu steigern vermag:


Den neugierig-naiven, wachen, empathischen Blick dreier Katzen durch abendlich-erleuchtete Großstadtfenster, hinter denen Menschen der verschiedensten Kulturen in der unangetasteten kontemplativen Stille ihres Privatlebens als Ausdruck ihrer persönlichen und kulturellen Identität die verschiedenen Lichterfeste ihrer jeweiligen religiösen Traditionen begehen – das hinduistische Diwali-Fest, das jüdische Chanukka sowie das christliche Weihnachten.

In der dunklen Jahreszeit feiern viele Menschen auf der ganzen Welt ein Lichterfest.[...] Alle drei Feste haben gemeinsam, dass die Dunkelheit erhellt wird, dass Menschen beieinander sind und die Erinnerung an etwas feiern, das vor langer Zeit geschehen ist. Und man isst an allen drei Festen Süßigkeiten und singt oder macht Musik. Man feiert die guten Dinge, damit sie stärker sind als die schlechten.

So beginnt Esther Kinsky ihre kurze, auf den literarischen Text folgende, das Buch beschließende Erläuterung, in der sie auch einige überraschend schöne, neue, eigenwillig-pointierte Charakterisierungen der drei vorgestellten Feste findet und diese mit ironisch-geistreicher Distanz eines sich bewusst außerhalb dieser Traditionen Stellenden beschreibt.

Mama“, fragten manche Kinder, „wann schneit es endlich?“
Bald“, sagte ihre Mama, „bald ist es ganz kalt und es schneit.“
Mama“, fragten andere Kinder, „wann ist Chanukka?“
Bald“, sagte ihre Mama, „bald ist Chanukka, und jeden Tag zünden wir eine Kerze mehr an.“
Mama“, fragten wieder andere Kinder, „wann ist Weihnachten?
Bald“, sagte ihre Mama, „guckt mal, die Häuser sind schon mit so vielen Lichtern geschmückt!“

Drei schwarze Katzen sitzen Tag für Tag am Fenster einer Berliner Erdgeschosswohnung, von dem aus sie mit vorbehaltloser Neugier den bunten Alltag der Großstadt betrachten. Als sich das Jahr dem Ende zuneigt und es bereits am frühen Nachmittag dunkel zu werden beginnt, beobachten sie eines Abends im Hinterhof ein prächtiges Feuerwerk, das eine indische Großfamilie abbrennt, um den Sieg des Lichts über das Dunkel, des Guten über das Böse zu feiern.

Und nur wenige Tage später schleichen sich die drei Katzen gemeinsam aus der Wohnung, um auf einen hohen Hinterhofbaum zu klettern, von dem aus sie Einblick in nahezu alle Wohnungen des Hauses haben und erfüllt von aufrichtigem Wissensdurst die verschiedensten Äußerungen von menschlicher Spiritualität betrachten können. Allerdings hat die Art von Spiritualität, die Esther Kinsky hier so überaus einfühlsam beschreibt und Sarah Fricke in ihrer strahlend-schönen, menschenfreundlichen Bildsprache so kongenial illustriert hat, weniger mit konventioneller Religiosität zu tun, sondern ist auf äußerst poetische Weise eher dem Begriff der menschlichen Selbsterkenntnis und gelebten Individualität verbunden, wie sie etwa dem Inhalt des beschriebenen Diwali-Festes entspricht:




Denn Spiritualität ist auch die liebevoll-intime Art, wie der muslimische Nachbar gemeinsam mit seiner Frau ein frisch zubereitetes Brathähnchen verspeist, wie ein kleiner Junge – heimlich dabei von seiner Mutter beobachtet – Klavieretüden übt oder wie ein Mädchen, ganz in sich versunken, in ihrem Zimmer Bratsche spielt. Natürlich ist es auch das gemeinsame Schmücken des Weihnachtsbaums und das feierliche Entzünden der Chanukka-Kerzen, das Spielen mit der Dreidl oder der Duft von Latkes und Krapfen.

Eine alte Frau saß dahinter im Schaukelstuhl und hielt eine sehr große getigerte Katze auf dem Schoß. Franz knurrte ein bisschen. „Pssst!“, fuhr Kalman ihn an, und Franz war sofort still, er hatte keine Lust auf ein Kämpfchen. Die alte Dame schaukelte in ihrem Schaukelstuhl und kraulte die dicke getigerte Katze hinter den Ohren. Neben ihr stand ein kleiner Baum mit flinkernden, blinkernden Lichtlein. Und – Kalman, Schwartzie und Franz konnten ihren Ohren nicht trauen: Die Katze sang ein Lied!

Selbst als die Lichter hinter den Fenstern verlöschen und die beginnende Nacht sich über die Großstadt senkt, Kinder wie Erwachsene friedlich einschlafen, scheint dieses eine, unsichtbare Licht noch weiterzustrahlen. Esther Kinsky und Sarah Fricke ist ein außergewöhnlich schönes klingendes Bilderbuch für Kinder und Erwachsene gelungen, das auf ebenso einfache wie kunstvoll-poetische Art und Weise zeigt, wie traditionelle Feste auch jenseits der rituellen Konventionen ganz unmittelbar lebenspraktischen Sinn und Gemeinschaft zu stiften vermögen.

Eines Abends im Winter“, erschienen bei Jacoby & Stuart (auch in englischer Sprache), 32 Seiten und eine CD, € 16,95

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