Eine angesichts der
beginnenden vorweihnachtlichen Hektik hoch willkommene, wundervolle
Entschleunigung mit poetischen Mitteln verschafft uns die vielseitige
Lyrikerin, Schriftstellerin und literarische Übersetzerin Esther
Kinsky in ihrem bereits vor zwei Jahren erschienenen, von der jungen
talentierten Hallenser Illustratorin Sarah Fricke liebevoll in Szene
gesetzten Bilderbuch „Eines Abends im Winter“, das als
unerwartete akustische Zugabe eine liebevoll von der Autorin selbst
eingesprochene und von der Potsdamer Singakademie mit
kindlich-ungekünsteltem musikalischen Charme begleitete
Hörbuch-CD enthält, die die meditativ-weltenrückte
Ausstrahlung von Kinskys unscheinbarem Text sogar noch zu steigern
vermag:
Den neugierig-naiven,
wachen, empathischen Blick dreier Katzen durch abendlich-erleuchtete
Großstadtfenster, hinter denen Menschen der verschiedensten
Kulturen in der unangetasteten kontemplativen Stille ihres
Privatlebens als Ausdruck ihrer persönlichen und kulturellen
Identität die verschiedenen Lichterfeste ihrer jeweiligen
religiösen Traditionen begehen – das hinduistische
Diwali-Fest, das jüdische Chanukka sowie das christliche
Weihnachten.
In der dunklen
Jahreszeit feiern viele Menschen auf der ganzen Welt ein
Lichterfest.[...] Alle drei Feste haben gemeinsam, dass die
Dunkelheit erhellt wird, dass Menschen beieinander sind und die
Erinnerung an etwas feiern, das vor langer Zeit geschehen ist. Und
man isst an allen drei Festen Süßigkeiten und singt oder
macht Musik. Man feiert die guten Dinge, damit sie stärker sind
als die schlechten.
So beginnt Esther Kinsky
ihre kurze, auf den literarischen Text folgende, das Buch
beschließende Erläuterung, in der sie auch einige
überraschend schöne, neue, eigenwillig-pointierte
Charakterisierungen der drei vorgestellten Feste findet und diese mit
ironisch-geistreicher Distanz eines sich bewusst außerhalb
dieser Traditionen Stellenden beschreibt.
„Mama“, fragten
manche Kinder, „wann schneit es endlich?“
„Bald“, sagte ihre
Mama, „bald ist es ganz kalt und es schneit.“
„Mama“, fragten
andere Kinder, „wann ist Chanukka?“
„Bald“, sagte ihre
Mama, „bald ist Chanukka, und jeden Tag zünden wir eine Kerze
mehr an.“
„Mama“, fragten
wieder andere Kinder, „wann ist Weihnachten?
„Bald“, sagte ihre
Mama, „guckt mal, die Häuser sind schon mit so vielen Lichtern
geschmückt!“
Drei schwarze Katzen
sitzen Tag für Tag am Fenster einer Berliner Erdgeschosswohnung,
von dem aus sie mit vorbehaltloser Neugier den bunten Alltag der
Großstadt betrachten. Als sich das Jahr dem Ende zuneigt und es
bereits am frühen Nachmittag dunkel zu werden beginnt,
beobachten sie eines Abends im Hinterhof ein prächtiges
Feuerwerk, das eine indische Großfamilie abbrennt, um den Sieg
des Lichts über das Dunkel, des Guten über das Böse zu
feiern.
Und nur wenige Tage später
schleichen sich die drei Katzen gemeinsam aus der Wohnung, um auf
einen hohen Hinterhofbaum zu klettern, von dem aus sie Einblick in
nahezu alle Wohnungen des Hauses haben und erfüllt von
aufrichtigem Wissensdurst die verschiedensten Äußerungen
von menschlicher Spiritualität betrachten können.
Allerdings hat die Art von Spiritualität, die Esther Kinsky hier
so überaus einfühlsam beschreibt und Sarah Fricke in ihrer
strahlend-schönen, menschenfreundlichen Bildsprache so kongenial
illustriert hat, weniger mit konventioneller Religiosität zu
tun, sondern ist auf äußerst poetische Weise eher dem
Begriff der menschlichen Selbsterkenntnis und gelebten Individualität
verbunden, wie sie etwa dem Inhalt des beschriebenen Diwali-Festes
entspricht:
Denn Spiritualität
ist auch die liebevoll-intime Art, wie der muslimische Nachbar
gemeinsam mit seiner Frau ein frisch zubereitetes Brathähnchen
verspeist, wie ein kleiner Junge – heimlich dabei von seiner Mutter
beobachtet – Klavieretüden übt oder wie ein Mädchen,
ganz in sich versunken, in ihrem Zimmer Bratsche spielt. Natürlich
ist es auch das gemeinsame Schmücken des Weihnachtsbaums und das
feierliche Entzünden der Chanukka-Kerzen, das Spielen mit der
Dreidl oder der Duft von Latkes und Krapfen.
Eine alte Frau saß
dahinter im Schaukelstuhl und hielt eine sehr große getigerte
Katze auf dem Schoß. Franz knurrte ein bisschen. „Pssst!“,
fuhr Kalman ihn an, und Franz war sofort still, er hatte keine Lust
auf ein Kämpfchen. Die alte Dame schaukelte in ihrem
Schaukelstuhl und kraulte die dicke getigerte Katze hinter den Ohren.
Neben ihr stand ein kleiner Baum mit flinkernden, blinkernden
Lichtlein. Und – Kalman, Schwartzie und Franz konnten ihren Ohren
nicht trauen: Die Katze sang ein Lied!
Selbst als die Lichter
hinter den Fenstern verlöschen und die beginnende Nacht sich
über die Großstadt senkt, Kinder wie Erwachsene friedlich
einschlafen, scheint dieses eine, unsichtbare Licht noch
weiterzustrahlen. Esther Kinsky und Sarah Fricke ist ein
außergewöhnlich schönes klingendes Bilderbuch für
Kinder und Erwachsene gelungen, das auf ebenso einfache wie
kunstvoll-poetische Art und Weise zeigt, wie traditionelle Feste auch
jenseits der rituellen Konventionen ganz unmittelbar
lebenspraktischen Sinn und Gemeinschaft zu stiften vermögen.
„Eines Abends im Winter“, erschienen bei Jacoby & Stuart (auch in englischer Sprache), 32 Seiten
und eine CD, € 16,95
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