Wie
die Stadt Coburg morgen offiziell bekanntgeben wird, hat sie den im
Abstand von drei Jahren vergebenen und mit 7.500 Euro dotierten
Friedrich-Rückert-Preis 2013 dem syrischen Schriftsteller und
Drehbuchautor Nihad Siris (geboren 1950) für seinen großartigen,
bereits im Herbst 2008 in deutscher Übersetzung erschienenen Roman
„Ali Hassans Intrige“ zuerkannt, der die Mechanismen
diktatorischer Machtausübung mit meisterhafter Präzision
beschreibt.
Mit
dieser guten und wichtigen Entscheidung möchte die von den beiden
renommierten Orientalisten Dr. Günther Orth und Dr. Hartmut
Fähndrich geleitete Jury den öffentlichen Fokus auf ein Land
richten, das nach bitteren Jahrzehnten der Diktatur derzeit den wohl
blutigsten Bürgerkrieg des noch jungen Jahrhunderts erleiden muss
und dessen unglückliche Bürger dabei wegen der geopolitischen Lage
ihres Landes im Schnittpunkt unterschiedlicher internationaler
Machtinteressen schändlicherweise auf keinerlei substanzielle
militärische Hilfe von Außen hoffen dürfen, obwohl das herrschende
Regime mit beispielloser Brutalität gegen seine eigenen Bürger
vorgeht:
Syrien
verdient unsere ganze Aufmerksamkeit, dieses Land, in dem seit
Jahrtausenden Kultur und Literatur blühen und bis in die
allerjüngste Gegenwart Literaten mit ihren Schriften mutig das Wort
erheben. Eine solche Stimme ist die von Nihad Siris. 1950 in Aleppo
geboren, war Siris zunächst Bauingenieur, bevor er sich dem
Schreiben [...] zuwandte. Er flüchtete 2011 aus Syrien nach Ägypten
und lebt seitdem im Exil.
Auch
als politisch interessierter und von den Medien über die Ereignisse
in aller Welt umfassend informierter, aufgeklärter Mensch vergisst
man in scheinbaren Friedenszeiten leider allzu oft, dass die Bürger
totalitärer Staaten nicht zwangsläufig dieselbe Meinung vertreten
wie das jeweilige sich dort gerade an der Macht befindende Regime.
Das wird im derzeit wütenden syrischen Bürgerkrieg besonders
deutlich, dessen Ursachen Nihad Siris in seinem Roman schon vor
beinahe zehn Jahren beispielhaft im Rahmen einer ebenso
aufschlussreichen wie unterhaltsamen, von leisem Humor getragenen
Handlung aufgeschlüsselt hat.
Wenn
man sich vor Augen führt, wie selbstverständlich es in einer
Demokratie dazugehört, die selbstgewählte Regierung zu kritisieren,
muss allerdings jedem klar werden, dass dies in einer brutalen
Diktatur erst recht an der Tagesordnung ist: allerdings wird das, was
hier legal und erwünscht ist, dort oft unter schlimmste staatliche
Sanktionen gestellt und kann deshalb in der Regel nicht frei geäußert
werden. Umso bemerkenswerter, dass für die Opposition in Syrien nun
seit 2011 der Zeitpunkt zum Handeln gekommen ist.
Nihad
Siris hat einen erstaunlich leichtfüßigen, wunderbar erhellenden
Roman über die Methoden und Funktionsweisen einer Diktatur
geschrieben, der die Schrecken des von ihm porträtierten totalitären
Regimes sehr elegant und in beispielhafter Universalität bloßlegt,
ohne dabei in allzu blutige Details abzuschweifen: es genügt oft die
feine Andeutung, um dem Leser unmissverständlich klarzumachen, um
was es hier geht – vielleicht auch eine Art Selbstschutz des
Autors.
Dessen
sympathischer jugendlicher Protagonist Fathi Schin, ein
regimekritischer Schriftsteller, der nach einem Fauxpas in seiner
Fernsehsendung von der Staatsmacht kaltgestellt und mit
Publikationsverbot belegt worden ist, gerät am Anfang des Romans
unfreiwillig, jedoch aufgrund der allseits verordneten
Festtagsstimmung zwangsläufig in die aufgeblasene Parade zum 20.
Jahrestag der Machtergreifung des Großen Führers, die vom Autor
sehr schön als „Getöse der Macht“ im Gegensatz zum befohlenen
künstlerischen Schweigen des Helden, aber auch zum drohenden
Schweigen des Gefängnisses, ja sogar des Grabes beschrieben wird.
Als
Fathi im Trubel einen protestierenden Studenten vor den Schergen des
Geheimdienstes zu retten versucht, wird sein Ausweis eingezogen und
ihm mitgeteilt, er könne sich diesen auf dem „Revier“ wieder
abholen. Unterdessen erfährt Fathi von seiner verwitweten Mutter,
dass diese wieder heiraten wolle, und zwar ausgerechnet den Offizier
Ali Hassan, ein prominentes Mitglied der Führungsriege.
Die
ganze Tragweite von dessen schamloser, dem Buch seinen Titel gebender
Intrige wird dem Helden des Buches allerdings erst vollends klar, als
er von der Soldateska zum Verhör abgeholt wird. Neben der überaus
erhellenden Schilderung der Funktionsweise staatlicher Willkür ist
besonders die liebevoll porträtierte, weitgehend dem Idealbild des
klassischen jugendlichen Helden entsprechende unbestechliche
Hauptfigur des Fathi Schin eine absolut erfrischende positive
literarische Entdeckung.
Gleichzeitig
macht uns die Lektüre erneut unmissverständlich klar, dass das
syrische Volk derzeit jeder erdenklicher Art der Unterstützung
bedarf: laut Angaben des Roten Kreuzes sind mehr als vier Millionen
Menschen allein innerhalb des Landes auf der Flucht, die Zahl der
Todesopfer ist laut UN-Angaben mittlerweile auf über 80.000
gestiegen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass die gute Entscheidung der
Coburger Jury nicht nur Auslöser von rein intellektuellem
Verständnis und passivem Mitgefühl, sondern auch Anstoß zum
Handeln sein wird.
„Ali Hassans Intrige“, aus dem Arabischen von Regina Karachouli,
erschienen bei Lenos, 173 Seiten, € 12,50
An der Stelle großes Lob für die Auszeichnung des Fridrich Rückert Preises. Das Buch ist wirklich lesenswert. Genauso wie das Gedicht Erberesträuchlein von dem Namensgeber des Preises.
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