Jerusalem

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Freitag, 17. Mai 2013

Friedrich-Rückert-Preis der Stadt Coburg 2013 an Nihad Siris!



Wie die Stadt Coburg morgen offiziell bekanntgeben wird, hat sie den im Abstand von drei Jahren vergebenen und mit 7.500 Euro dotierten Friedrich-Rückert-Preis 2013 dem syrischen Schriftsteller und Drehbuchautor Nihad Siris (geboren 1950) für seinen großartigen, bereits im Herbst 2008 in deutscher Übersetzung erschienenen Roman „Ali Hassans Intrige“ zuerkannt, der die Mechanismen diktatorischer Machtausübung mit meisterhafter Präzision beschreibt.

Mit dieser guten und wichtigen Entscheidung möchte die von den beiden renommierten Orientalisten Dr. Günther Orth und Dr. Hartmut Fähndrich geleitete Jury den öffentlichen Fokus auf ein Land richten, das nach bitteren Jahrzehnten der Diktatur derzeit den wohl blutigsten Bürgerkrieg des noch jungen Jahrhunderts erleiden muss und dessen unglückliche Bürger dabei wegen der geopolitischen Lage ihres Landes im Schnittpunkt unterschiedlicher internationaler Machtinteressen schändlicherweise auf keinerlei substanzielle militärische Hilfe von Außen hoffen dürfen, obwohl das herrschende Regime mit beispielloser Brutalität gegen seine eigenen Bürger vorgeht:

Syrien verdient unsere ganze Aufmerksamkeit, dieses Land, in dem seit Jahrtausenden Kultur und Literatur blühen und bis in die allerjüngste Gegenwart Literaten mit ihren Schriften mutig das Wort erheben. Eine solche Stimme ist die von Nihad Siris. 1950 in Aleppo geboren, war Siris zunächst Bauingenieur, bevor er sich dem Schreiben [...] zuwandte. Er flüchtete 2011 aus Syrien nach Ägypten und lebt seitdem im Exil.

Auch als politisch interessierter und von den Medien über die Ereignisse in aller Welt umfassend informierter, aufgeklärter Mensch vergisst man in scheinbaren Friedenszeiten leider allzu oft, dass die Bürger totalitärer Staaten nicht zwangsläufig dieselbe Meinung vertreten wie das jeweilige sich dort gerade an der Macht befindende Regime. Das wird im derzeit wütenden syrischen Bürgerkrieg besonders deutlich, dessen Ursachen Nihad Siris in seinem Roman schon vor beinahe zehn Jahren beispielhaft im Rahmen einer ebenso aufschlussreichen wie unterhaltsamen, von leisem Humor getragenen Handlung aufgeschlüsselt hat.




Wenn man sich vor Augen führt, wie selbstverständlich es in einer Demokratie dazugehört, die selbstgewählte Regierung zu kritisieren, muss allerdings jedem klar werden, dass dies in einer brutalen Diktatur erst recht an der Tagesordnung ist: allerdings wird das, was hier legal und erwünscht ist, dort oft unter schlimmste staatliche Sanktionen gestellt und kann deshalb in der Regel nicht frei geäußert werden. Umso bemerkenswerter, dass für die Opposition in Syrien nun seit 2011 der Zeitpunkt zum Handeln gekommen ist.

Nihad Siris hat einen erstaunlich leichtfüßigen, wunderbar erhellenden Roman über die Methoden und Funktionsweisen einer Diktatur geschrieben, der die Schrecken des von ihm porträtierten totalitären Regimes sehr elegant und in beispielhafter Universalität bloßlegt, ohne dabei in allzu blutige Details abzuschweifen: es genügt oft die feine Andeutung, um dem Leser unmissverständlich klarzumachen, um was es hier geht – vielleicht auch eine Art Selbstschutz des Autors.

Dessen sympathischer jugendlicher Protagonist Fathi Schin, ein regimekritischer Schriftsteller, der nach einem Fauxpas in seiner Fernsehsendung von der Staatsmacht kaltgestellt und mit Publikationsverbot belegt worden ist, gerät am Anfang des Romans unfreiwillig, jedoch aufgrund der allseits verordneten Festtagsstimmung zwangsläufig in die aufgeblasene Parade zum 20. Jahrestag der Machtergreifung des Großen Führers, die vom Autor sehr schön als „Getöse der Macht“ im Gegensatz zum befohlenen künstlerischen Schweigen des Helden, aber auch zum drohenden Schweigen des Gefängnisses, ja sogar des Grabes beschrieben wird.

Als Fathi im Trubel einen protestierenden Studenten vor den Schergen des Geheimdienstes zu retten versucht, wird sein Ausweis eingezogen und ihm mitgeteilt, er könne sich diesen auf dem „Revier“ wieder abholen. Unterdessen erfährt Fathi von seiner verwitweten Mutter, dass diese wieder heiraten wolle, und zwar ausgerechnet den Offizier Ali Hassan, ein prominentes Mitglied der Führungsriege.

Die ganze Tragweite von dessen schamloser, dem Buch seinen Titel gebender Intrige wird dem Helden des Buches allerdings erst vollends klar, als er von der Soldateska zum Verhör abgeholt wird. Neben der überaus erhellenden Schilderung der Funktionsweise staatlicher Willkür ist besonders die liebevoll porträtierte, weitgehend dem Idealbild des klassischen jugendlichen Helden entsprechende unbestechliche Hauptfigur des Fathi Schin eine absolut erfrischende positive literarische Entdeckung.

Gleichzeitig macht uns die Lektüre erneut unmissverständlich klar, dass das syrische Volk derzeit jeder erdenklicher Art der Unterstützung bedarf: laut Angaben des Roten Kreuzes sind mehr als vier Millionen Menschen allein innerhalb des Landes auf der Flucht, die Zahl der Todesopfer ist laut UN-Angaben mittlerweile auf über 80.000 gestiegen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass die gute Entscheidung der Coburger Jury nicht nur Auslöser von rein intellektuellem Verständnis und passivem Mitgefühl, sondern auch Anstoß zum Handeln sein wird.

Ali Hassans Intrige“, aus dem Arabischen von Regina Karachouli, erschienen bei Lenos, 173 Seiten, € 12,50

1 Kommentar:

  1. An der Stelle großes Lob für die Auszeichnung des Fridrich Rückert Preises. Das Buch ist wirklich lesenswert. Genauso wie das Gedicht Erberesträuchlein von dem Namensgeber des Preises.

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