Ein auf seiner konkreten
Bedeutungsebene kaum zu ertragender Kommentar des Hauptangeklagten im
Prozess vor dem Landgericht Hannover über den Brandanschlag auf ein
von Asylbewerbern bewohntes Haus in Salzhemmendorf, den der
Beschuldigte Zeugen zufolge noch in der Tatnacht des 28. August
letzten Jahres in stark alkoholisiertem Zustand abgegeben haben soll,
sagt sehr viel über sein gestörtes Verhältnis zur Realität aus:
"Wenn der Neger brennt, feiere ich richtig." Es ist eine
Art von Aussage, die man allenfalls einem in seiner geistigen und
emotionalen Entwicklung stark zurückgebliebenen, vermutlich
minderjährigen gewohnheitsmäßigen Konsumenten von Horrorvideos und
gewalttätigen Computerspielen zutraut, der noch nicht gelernt hat,
dass man sich an einer heißen Herdplatte tatsächlich die Finger
verbrennen kann und „Game Over“ im wahren Leben bedeutet, dass
man zumindest im materialistischen Sinne in Zukunft kein höheres
Level mehr erreichen wird. Es ist die rohe Weltsicht eines sozial und
moralisch isolierten, vermutlich ungeliebten Menschen, der nicht
weiß, dass konkrete Worte wie die von ihm gewählten auch eine
konkrete Bedeutung besitzen, für die er jenseits seiner
eigenen beschränkten Vorstellungswelt weder Toleranz noch
Verständnis erwarten darf. Da der Angeklagte seiner Ankündigung
noch dazu unmittelbar eine Tat folgen ließ, die dem Wortsinn
vollkommen entspricht – zum Glück ohne den gewünschten Effekt –
wäre es fatal, seine Aussage allzu leicht zu nehmen.
Ausgebrannte Flüchtlingsunterkunft in Trassenheide 2015/Foto: Schneffe |
Aus dem klassischen
amerikanischen Cartoon der 1930er und 40er Jahre kennen wir
zahlreiche haarsträubende Situationen, die extreme
aufeinanderprallende Positionen durch das Mittel stetig gesteigerter
Übertreibung höchst wirkungsvoll ad absurdum führen. Hier ist es
durchaus an der Tagesordnung, dass der eindimensionale, meist Tieren
nachempfundene Protagonist in einen Canyon fällt und nicht mehr als
eine pochende Beule davonträgt oder von einer Dampfwalze überrollt
wird und dennoch in der nächsten Szene wieder zu einer vollständigen
Person aufklappt, die ihren sinnlos-cholerischen Kleinkrieg wider
besseres Wissen mit unverminderter Härte fortsetzt. Das durch die
gezielte Überzeichnung im Zuschauer ausgelöste ungläubige Lachen
ist ein geeignetes Mittel, den unversöhnlichen Hass zwischen Tom und
Jerry oder Kojote und Roadrunner zu vergegenwärtigen. Es scheint
vollkommen verfehlt, hier von gewaltverherrlichenden Tendenzen zu
sprechen. Kein Zuschauer würde ernsthaft auf die Idee kommen, selbst
in den Canyon zu springen oder sich überrollen zu lassen – es
gehört keine große Transferleistung dazu, zu wissen, dass jedes
einzelne dieser Unternehmen für einen gewöhnlichen Menschen tödlich
enden muss. Auch die kulturelle Leistung, Worte in Bilder und/oder
konkrete Bedeutung zu übersetzen, scheint für einen einigermaßen
vernunftbegabten und halbwegs empathischen Menschen durchaus
umsetzbar. Um die Aussage des Angeklagten abzulehnen, muss man nicht
selbst schon einmal angezündet worden sein, es genügt ein
Mindestmaß an Verstand und Mitgefühl.
Dennoch scheint es uns
möglicherweise gerade wegen unseres ausgeprägten kulturellen
Abstraktionsvermögens derzeit so schwerzufallen, gewisse extreme
Positionen, die in unserer Gesellschaft kursieren, im vollen Wortsinn
ernst zu nehmen: die von ihnen ausgelöste Irritation widerspricht zu
sehr unserem Realitätssinn und erinnert uns unterschwellig zu sehr
an die absurden Manifestationen einer satirischen Weltsicht, wie wir
sie aus künstlerischen Vergegenwärtigungen historischer Ereignisse
in Literatur, Film und Theater kennen. Für einen aufgeklärten
modernen Menschen scheint es nahezu unmöglich, eine Ansammlung von
nationalchauvinistischen und reaktionären Ansichten, wie sie im
offiziellen Parteiprogramm der AfD in vermeintlich realsatirischer
Reinform zuhauf vorkommen, als Parteiprogramm ernst zu nehmen, aber
genau das sollten wir tun, denn es ist das, was diese Karikatur einer
modernen Partei in der Realität umsetzen möchte, sofern es ihr
gelingen sollte, die politische Macht zu erringen. Manch
unzufriedener arbeitsloser Wutbürger, der die AfD wählt, weil die
„was gegen Flüchtlinge tut“, wird sich dann nämlich wundern,
wenn er sich plötzlich dreißig Stunden in der Woche zur
obligatorischen „Gemeinschaftsarbeit“ einfinden muss. Die
vielbeschworene Worthülse „Man wird doch mal sagen dürfen“
dient meistens nur als Testballon, um die Reaktion seines jeweiligen
Gegenübers auszuloten. Von diesem Punkt aus wird die Grenze des
Zumutbaren dann kontinuierlich weiter ins Irrationale verschoben, bis
es uns buchstäblich zu eng wird. Lachen als Abgrenzung ist hier der
falsche Weg, stattdessen sollten wir hellhörig werden: Solche Leute
meinen immer, was sie sagen – für Spontaneität fehlt ihnen die
Leichtigkeit.
Brandanschlag Solingen 1993/Foto: Sir James |
Aus allen öffentlich
zugänglichen schriftlichen und mündlichen Äußerungen von
AfD-Funktionären wird eines deutlich: Die AfD will sämtliche Uhren
in unserer Gesellschaft zurückdrehen zu einer lang überwunden
geglaubten Zeit, von der selbst diejenigen, die sie noch erlebt
haben, nicht überzeugend behaupten können, dass sie besser gewesen
sei als die heutige. Nebenbei bemerkt: natürlich gibt es Parteien am
äußersten rechten Rand der Gesellschaft, die noch extremere
Positionen vertreten als die AfD. Dafür genießen sie aber auch
deutlich weniger Rückhalt in der Bevölkerung. Absurderweise schwebt
ausgerechnet über der unwesentlich weniger militanten dieser beiden
Parteien aktuell ein Verbotsverfahren, das zwar von vielen begrüßt
wird, jedoch Experten zufolge mittelfristig mehr Schaden als Nutzen
anrichten könnte, da eine noch stärkere Radikalisierung des
betroffenen Personenkreises bis hin zu rechtsextremistischem Terror
zu befürchten stehe. Das Mittel des Verbotes sollte in einer
pluralistischen Gesellschaft ohnehin keinen Platz haben: Verbot ist
immer das unzulängliche Mittel der Anhänger totalitaristischer
Ideologien, mit dem sie ihren beschränkten Horizont zu schützen
versuchen – wir sollten es nicht zu unserem machen. Es ist zwar
legitim, von einer Gesellschaft zu träumen, in der nationalistisches
und völkisches Gedankengut keinen Platz haben, doch realistisch ist
dieser Traum nicht. Als vitale pluralistische Gesellschaft sollten
wir dennoch darauf vertrauen, dass unsere dem Leben zugewandte
Weltanschauung alle Widerstände aus sich selbst heraus zu überwinden
vermag.
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