Der zweite Roman
nach einem zu Recht gefeierten Debüt muss für jeden jungen Autoren eine große
Bürde und Herausforderung sein. Als vor vier Jahren Vanessa F. Fogels erster
Roman „Sag es mir“ erschien, die literarische Reise einer jungen Frau zu sich
selbst, verblüfften die Literaturkritik vor allem der unverbrauchte, sensible
und unverkennbar weibliche Ton sowie die ebenso zärtliche wie entschiedene
Weltsicht der in Frankfurt am Main geborenen, in Israel aufgewachsenen und in
Amerika ausgebildeten Debütantin. Ihr soeben erschienener zweiter Roman
„Hertzmann's Coffee“ lässt sich weit weniger leicht in einem Satz
zusammenfassen als sein Vorgänger. Ist es die Chronik einer jüdischen Kaffeeröster-Dynastie
in New York? Die Feier einer lebenslangen zärtlichen Liebe? Ein
unkonventionelles Lob liebevoller familiärer Bindungen? Ein Klagelied über den
Verlust derselben? Ein Bericht über das Schweigen der Opfer der Schoah? Eine
Schilderung der Auswirkungen der Verfolgung und des Schweigens auf die zweite
und dritte Generation?
FH: Vanessa, wir haben
uns einige Zeit nach Erscheinen Deines ersten Buches kurz über Deine weiteren
literarischen Pläne ausgetauscht und verständlicherweise wolltest Du zu diesem
frühen Zeitpunkt nicht mehr darüber preisgeben, als dass Du tatsächlich an
einem neuen Roman arbeitest. Gibt es rückblickend einen bestimmten Gedanken,
eine Begegnung, eine Stimmungslage oder einen Satz, der Dich zu „Hertzmann's
Coffee“ angeregt hat? Gibt es lebende oder historische Personen als Vorbilder?
Und wie haben die einzelnen Protagonisten literarisch zueinander gefunden?
VFF: Als ich mit der Niederschrift des Romans begann, gab es eine mir sehr
nahestehende Person in meinem Leben, die nicht mit mir reden wollte. Deshalb
bewegte mich zu dieser Zeit fast ausschließlich die drängende Frage, wie man
mit jemandem kommunizieren soll, der diesen Austausch nicht wünscht. Und diese
Fragestellung kreuzte sich mit meinem ursprünglichen Vorhaben der literarischen
Erforschung von Geschwisterbeziehungen, die ich mir für meinen zweiten Roman
fest vorgenommen hatte. Und dann gab es ja noch diese Geschichte über eine
verloren geglaubte Halbschwester, die mir immer schon vorgeschwebt hatte – das
waren die unterschiedlichen Zutaten, die „Hertzmann's Coffee“ zum Leben erweckt
haben.
„Hertzmann's Coffee“ wird im stetigen Wechsel aus drei unterschiedlichen männlichen Perspektiven erzählt, die drei verschiedene Generationen repräsentieren. Die Handlung spielt in der aktuellen lebendigen Gegenwart der Großstädte New York, Caracas und Berlin, die ältesten im Verlaufe der Erzählung vermittelten Erinnerungen reichen jedoch bis in die von den Nationalsozialisten auf so grausame Art und Weise zerstörte Kindheit der Kriegsgeneration zurück. „Nur wer über sich und seine Zeit schreibt, schreibt über alle Menschen und alle Zeiten“, zitiert die Autorin den Dramatiker George Bernard Shaw am Beginn jedes neuen Abschnitts so beharrlich, dass selbst der flüchtigste Leser unweigerlich über diesen Ausspruch nachdenken muss, und bekräftigt damit einerseits eine treffend-prägnante Formulierung für den universellen Anspruch engagierter Literatur, andererseits verleiht sie ihrem berechtigten literarischen Selbstbewußtsein Ausdruck, indem sie ganz offen zugibt: „Ich kann das!“ - Dennoch – und das macht einen nicht unbeträchtlichen Reiz des Buches aus – meint man zuweilen hinter den überzeugend gestalteten Innenwelten der Protagonisten auch eine eben diese Charaktere denkende und fühlende Autorin zu erkennen.
„Hertzmann's Coffee“ wird im stetigen Wechsel aus drei unterschiedlichen männlichen Perspektiven erzählt, die drei verschiedene Generationen repräsentieren. Die Handlung spielt in der aktuellen lebendigen Gegenwart der Großstädte New York, Caracas und Berlin, die ältesten im Verlaufe der Erzählung vermittelten Erinnerungen reichen jedoch bis in die von den Nationalsozialisten auf so grausame Art und Weise zerstörte Kindheit der Kriegsgeneration zurück. „Nur wer über sich und seine Zeit schreibt, schreibt über alle Menschen und alle Zeiten“, zitiert die Autorin den Dramatiker George Bernard Shaw am Beginn jedes neuen Abschnitts so beharrlich, dass selbst der flüchtigste Leser unweigerlich über diesen Ausspruch nachdenken muss, und bekräftigt damit einerseits eine treffend-prägnante Formulierung für den universellen Anspruch engagierter Literatur, andererseits verleiht sie ihrem berechtigten literarischen Selbstbewußtsein Ausdruck, indem sie ganz offen zugibt: „Ich kann das!“ - Dennoch – und das macht einen nicht unbeträchtlichen Reiz des Buches aus – meint man zuweilen hinter den überzeugend gestalteten Innenwelten der Protagonisten auch eine eben diese Charaktere denkende und fühlende Autorin zu erkennen.
Die drei
Ich-Erzähler sind allesamt männlichen Geschlechts: ein fünfundachtzigjähriger
gutmütiger Patriarch einer jüdischen New Yorker Kaffeeröster-Dynastie, dessen
vermeintlich fest aufeinander eingeschworene Familie im Streit über die weitere
Ausrichtung des Unternehmens auseinanderzubrechen droht. Ein einsamer
venezolanischer Naturwissenschaftler, der am Krankenbett seiner geliebten, im
Sterben liegenden Mutter unverhofft auf deren lebenslang sorgsam gehütetes
Geheimnis stößt. Und ein eigenbrötlerischer Berliner Jugendlicher, der sich von
seinen Eltern unverstanden fühlt und der, um sich zu beweisen, auf eigene Faust
zum 500-Teile-Schnellpuzzle-Wettbewerb Razzle-The-Puzzle nach Lancaster,
NY, reisen möchte.
FH: War es schwierig, sich in literarischer Form gleich drei unterschiedlichen männlichen Erzählperspektiven anzuverwandeln und gibt es unter diesen drei Protagonisten jemanden, dessen Sicht auf das Leben Dir persönlich besonders nahe ist?
FH: War es schwierig, sich in literarischer Form gleich drei unterschiedlichen männlichen Erzählperspektiven anzuverwandeln und gibt es unter diesen drei Protagonisten jemanden, dessen Sicht auf das Leben Dir persönlich besonders nahe ist?
VFF: Es war nicht wirklich schwierig, aber ich brauchte viel Zeit und Geduld. Literarische Charaktere zu erschaffen ist wie ein langsamer organischer Kennenlernprozess: das dauert einfach, unabhängig von Geschlecht und Alter der Figuren. Es ist wie bei Menschen – bei manchen braucht es ein bisschen, bei anderen passiert es schneller! Die Stimme von Josè-Rafael kam geradezu wie von selbst, während die von Marc noch Feinabstimmung benötigte. Und Yankeles Sichtweise ist mir sogar seit vielen Jahren sehr vertraut. Aber nahe fühle ich mich ihnen allen ohne Ausnahme, da ich Gedanken und Meinungen mit ihnen austausche und teile.
Fast alle Personen im Roman sind auf die eine oder andere Weise besessen von Kaffee: Während sämtliche Zweige der Familie Hertzmann nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht vom Kaffee leben, sondern diesen auch geradezu als persönliches Lebenselixier begreifen und ihn in allen erdenklichen Formen gern und häufig konsumieren, lehnt der venezolanische Geologe und Kaffee-Hasser José-Rafael die Förderung des heimischen Kaffeeanbaus durch das Regime Hugo Chávez' aus fester politischer Überzeugung ab: „Das Unglück unserer Nation.“ Seine Mutter, die während des Krieges in einer christlichen Familie aufgewachsene, einzige überlebende Schwester des Familienpatriarchen Yankele Hertzmann, hat ein interessantes Bonmot geprägt: „Kaffee ist etwas für Leute, die ihre Geschmacksknospen kontrollieren wollen. Nichts für jene, die sich von ihren Geschmacksknospen kontrollieren lassen. Nichts für jene, die leben wollen. Aber für jene, die das Leben kontrolieren wollen.“
FH: Welche Bedeutung hat Kaffee für Dich als Metapher und als Erscheinung des täglichen Lebens?
VFF: Die Welt des Kaffees hat mich schon immer interessiert. Als ich dann aber einstieg in die Recherche zu meinem Buch, ließ ich mich regelrecht davon mitreissen: seine Geschichte, seine besondere Fachterminologie und die zahlreichen unterschiedlichen Bezugsgruppen überall auf der Welt. Aber auch als Metapher besitzt Kaffee einen außergewöhnlichen Reichtum. Was meine persönliche Beziehung dazu betrifft: ich mag Kaffee vor allem sehr, sehr gern – ich würde mich nicht unbedingt als süchtig danach bezeichnen, aber ich bin sicherlich nahe dran. Zweitens assoziiere ich Kaffee immer mit meinem Großvater, der ihn am liebsten kochend heiß trank. Und drittens erinnert er mich an meine Studentenzeit, während der ich regelmäßig als Barrista in einem Café arbeitete und vielen inspirierenden Menschen begegnete, vor allem während meiner Nachtschichten.
Vanessa F. Fogel |
Der
fünfundachtzigjährige Familienpatriarch Yankele Hertzmann hat seiner
lebenslangen Liebe, seiner Ehefrau Dora, nach dem Krieg versprochen, niemals
über die traumatische Geschichte ihres Überlebens unter nationalsozialistischer
Verfolgung zu sprechen. Als sich seine Kinder in einem von ihm nicht vorhergesehenen
und von den Medien genussvoll öffentlich gemachten erbitterten Streit um seine
Nachfolge gegenseitig heftig zu bekämpfen beginnen, bricht er jedoch sein
lebenslanges Versprechen und erzählt in vielen einsamen, nächtlichen Monologen
nach und nach seine ganze Lebensgeschichte vor dem unparteiischen Blick seiner
Digitalkamera. Obwohl er damit ganz andere Zwecke verfolgt und sich eigentlich
nur eine ganz bestimmte, überaus schmerzlich vermisste Person als Publikum
wünscht, wird er damit bei YouTube unverhofft zum Star, und seine späten
privaten Geständnisse haben vollkommen unerwartete Auswirkungen auf den
bröckelnden Zusammenhalt der Familie.
FH: Sind die für alle Familienmitglieder heilsamen Auswirkungen der denkwürdigen Internetkarriere von Yankele Hertzmann lediglich eine schöne literarische Utopie oder kann der bewusste Weg in die Öffentlichkeit ein fruchtbarer Ansatz für alle Generationen sein?
FH: Sind die für alle Familienmitglieder heilsamen Auswirkungen der denkwürdigen Internetkarriere von Yankele Hertzmann lediglich eine schöne literarische Utopie oder kann der bewusste Weg in die Öffentlichkeit ein fruchtbarer Ansatz für alle Generationen sein?
VFF: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Ich denke eigentlich nicht, dass in so sensiblen Fragen allgemein gültige Lösungsansätze hilfreich oder überhaupt zulässig sind. Hier können vermutlich nur individuelle Antworten helfen...
Die überaus stimmige, empathische Erzählweise und inhaltliche Vielfalt von Hertzmann's Coffe machen es dem neugierigen Leser ausgesprochen leicht, sich über diesen ebenso intelligenten wie sensiblen Roman auf inspirierende Art und Weise zu unterhalten, welcher überdies – wie schon sein hoch gelobter Vorgänger – einen ganz eigenen, unverwechselbaren Sound besitzt, der ihn in seiner unaufdringlichen Wirkung noch unmittelbarer und zugänglicher macht. Insofern hat das Buch das schöne und keinesfalls zu unterschätzende Potenzial nicht nur seine Protagonisten auf eine Tasse Kaffe zusammenzubringen, sondern möglicherweise sogar seine gut unterhaltenen Leser. Dass die Autorin den individuellen Lösungsansatz ihres unvergesslichen Protagonisten nicht als Patentlösung verstanden wissen will, lässt ihren Roman umso ernsthafter, reifer und realistischer erscheinen. „Hertzmann's Coffee“ ist wie ein idealer, zwanglos-angenehmer fiktiver Treffpunkt von weltoffenen Menschen und ihren unterschiedlichen Meinungen, ganz egal ob diese ihre Geschmacksknospen kontrollieren wollen oder sich stattdessen von ihnen kontrollieren lassen – eine Tasse Kaffee in guter Gesellschaft ist immer eine bewusstseinserweiternde Option.
„Hertzmann's Coffee“, aus dem Englischen
von Eva Bonné unter Mitarbeit von Vanessa F. Fogel,
erschienen bei Weissbooks, 311 Seiten, € 22,90
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