Das Krimi-Genre hat seinen
Lesern im Verlauf der letzten Jahre eine erstaunliche Anzahl der
exotischsten Schauplätze auf der ganzen Welt erschlossen, manchmal
jedoch – wie wir immer wieder aus der Presse erfahren müssen –
finden sich die größten Monstrositäten ganz unverhofft hinter der
nächstnachbarlichen Haustür, und so scheint es kaum verwunderlich,
dass sich viele deutsche Krimifans zuletzt mit großer Begeisterung
auf jene Werke gestürzt haben, die ihre Handlung mit deutlich
erkennbarem, oftmals satirisch überhöhtem spezifischen Lokalkolorit
würzen, um das allseits bekannte und guter Literatur von jeher
immanente heilsame Wiedererkennen im Leser noch zu forcieren.
Das wesentliche Problem
vieler Lokalkrimis bleibt allerdings die den Nachahmungsmechanismen
des Buchmarkts geschuldete ärgerliche Tatsache, dass literarische
Kriterien immer häufiger hinter dem deutlich erkennbaren Bemühen
der Verlage zurücktreten, dem Leser selbst zu den abwegigsten
Unorten der deutschen Provinz einen Kriminalroman anbieten zu wollen.
Einen erfreulicher
Sonderfall zwischen diesen beiden Extremen bilden die seit 2008 bei
Diogenes in schöner Regelmäßigkeit erscheinenden,
wunderbar-ergötzlichen, federleicht zu konsumierenden
Périgord-Krimis des renommierten schottischen Journalisten und
Schriftstellers Martin Walker (geboren 1947). Sein sympathischer
Protagonist Bruno, ein ausgewiesener Feinschmecker, ambitionierter
Hobbykoch und umsichtiger Kleinstadtpolizist mit Waffenphobie, ist
die heimliche Seele seines beschaulichen fiktiven Heimatortes, der
die selbst in der südwestfranzösischen Idylle mitunter
aufkeimenden, alltäglichen Konflikte in aller Regel mit
bewundernswertem diplomatischen Geschick und
menschenfreundlich-besonnenem Weitblick bewältigt.
Und die ewig junge Frage, an der sich im Laufe der Jahrtausende schon
Generationen von Philosophen, Esoterikern und Propheten erfolglos
abgearbeitet haben, ohne eine befriedigende allgemeingültige Antwort
geben zu können, die längeren Bestand haben könnte als eine
verschwindend geringe Zeitspanne im Weltgefüge: nämlich ob der
Zufall in der Welt existiert, beantwortet Martin Walker zumindest für
die Region Périgord stets mit einem klaren
Nein. Freilich ist allein die erhabene Position des „Schöpfers“
– wenn auch in diesem Fall die des literarischen – wie keine
andere geeignet, Ereignisse von Vorsatz, Schicksal oder
Synchronizität nicht nur aufgrund des eigenen exponierten Überblicks
zu erkennen, sondern sie sogar bewusst herbeizuführen.
So dürfen wir zumindest
als eifrige Walker-Leser wenigstens für die kurzweilige Dauer der
Lektüre fest daran glauben, dass alle Dinge miteinander verbunden
sind und der Sinn des Lebens vor allem darin besteht, dies zu
erkennen und darüber hinaus mit wachen Sinnen einen unerschöpflichen
Vorrat an genießerischen Augenblicken unbeschwerten Glücks
anzusammeln, der uns möglicherweise über die zweifellos kommenden
Momente von Not und Verzweiflung hinweghelfen wird.
Darüber hinaus verbinden
die international erfolgreichen Bruno-Romane auf kunstvollste Art und
Weise liebevoll porträtiertes, authentisches Lokalkolorit mit der
Sehnsucht des Lesers nach Urlaub in einer für ihr Essen und ihre
hochwertigen Lebensmittelprodukte weltweit bekannten
Feinschmeckerregion. Gleichzeitig zeigt der politische Journalist
Martin Walker darin immer wieder sehr elegant auf, wie sich globale
soziale Prozesse zwangsläufig auch auf das Zusammenleben in
scheinbar intakten ländlichen Gemeinschaften auswirken.
Das bildmächtige, vom Eindruck des gelungenen Covers noch
eindrucksvoll gesteigerte Entrée zu Brunos jetzt
erschienenem fünften Fall mit dem anspielungsreichen Titel „Femme
fatale“ scheint geradezu filmreif: an einem entspannten, träge vor
sich hinplätschernden Samstagmorgen treibt, während der örtliche
Kirchenchor Bachs Matthäuspassion probt, ein einsames, herrenloses
Ruderboot mit einer Aufsehen erregenden Fracht den Fluss herunter:
Die Frau
konnte unmöglich noch am Leben sein. Sie war fast vollständig von
Wasser überspült, nur die Brüste, das Gesicht und die Fußspitzen
ragten daraus hervor. Die Haare fächerten sich wogend hinter ihrem
Kopf, und die Hände schienen mit den Wellen zu spielen. Der Vogel
hatte sich über ihr linkes Auge hergemacht, das andere schaute
ausdruckslos zum Himmel empor. Dass die Frau sehr schön gewesen sein
musste, war unverkennbar. Sie hatte eine makellose Haut und ein
ebenmäßiges Gesicht. Nase und Kinn waren wohlgeformt, die
Wangenknochen ausgeprägt. Bruno glaubte einen leichten Brandgeruch
wahrzunehmen und etwas Öliges, das an Paraffin erinnerte. Neben der
Leiche schwamm eine leere Wodkaflasche.
Die
unbekannte, mit diabolischem Vorsatz künstlich im Boot drapierte
Nackte erweist sich als fatale im doppelten Sinne:
verhängnisvoll für sich ebenso wie für andere und – im dritten
Wortsinn – als absolut tot. Die pathologische Untersuchung der
Ermordeten offenbart schon bald schaurige Details ausgesprochen
pikanter Todesumstände, die nahezulegen scheinen, dass die schöne
Tote bei einer geheimen satanistischen Messe geopfert worden sein
könnte.
Der
mutmaßliche Tatort ist schnell identifiziert: ein in gräflichem
Privatbesitz befindliches prähistorisches Höhlensystem, von dessen
bisher erfolgreich geheimgehaltener Funktion als Veranstaltungsort
für exklusive Sexparties sich clevere Strategen nun einen Aufschwung
des lokalen Tourismus versprechen. Und während Bruno bei seinen
weiteren Ermittlungen auf eine merkwürdige geschäftliche
Verflechtung der französischer Waffenindustrie mit arabischem
Terrorismus und internationalen Hedgefonds stößt, muß er sich wie
gewohnt nicht nur der amourösen Avancen einer schönen Unbekannten
erwehren, sondern wird auch wieder einmal mit seinen immer noch
starken Gefühlen für seine zu einer nationalen Spezialeinheit in
Paris versetzten Ex-Partnerin konfrontiert, deren Dienststelle
aufgrund delikater internationaler Verwicklung – wie sich
herausstellt – ebenfalls bereits in dem Fall zu ermitteln begonnen
hat.
Auch in seinem fünften Périgord-Roman gelingt es Martin Walker mit
leichter Hand und viel augenzwinkerndem Humor, drei unterschiedliche
Fälle aufs Unterhaltsamste zu einem überaus spannenden Krimi
zusammenzuführen, der Dank seines liebevoll beobachteten,
lebensnahen Lokalkolorits und der mit Hilfe von Julia Watson, der
Frau des Autors, einer renommierten Restaurantkritikerin und
Food-Bloggerin, nachkochbar zusammengestellten und von Bruno im
Verlaufe der Handlung persönlich zubereiteten Menüfolgen beinahe in
der Lage ist, einen kompletten Urlaub in Südfrankreich im Geiste des
Lesers zu ersetzen.
„Femme fatale“, aus dem Englischen von Michael Windgassen, erschienen bei
Diogenes, 427 Seiten, € 22,90