Kürzlich berichtete ein
deutsches Nachrichtenmagazin über den Fall eines griechischen
Journalisten, der in seiner durch die Auswirkungen von
internationaler Finanzkrise und jahrzehntelangem staatlichen
Missmanagement vor dem Bankrott stehenden Heimat verhaftet wurde,
weil er die Namen mutmaßlich-säumiger millionenschwerer
Steuersünder illegalerweise öffentlich gemacht hatte. Bemerkenswert
an dieser modernen Robind-Hood-Geschichte ist allerdings weniger das
für das natürliche Rechtsempfinden jedes mündigen Bürgers
irritierend harte Vorgehen der Staatsorgane gegen einen lediglich im
Sinne des Allgemeinwohls agierenden Rebellen, sondern vor allem
deshalb, weil der Täter sich ganz offensichtlich, wenn auch auf
vergleichsweise harmlose Art und Weise, von der prophetischen
Handlung des im griechischen Original bereits im vergangenen Jahr
erschienenen Kriminalromans „Zahltag“ von Petros Markaris
(geboren 1937) inspirieren ließ, dem mittlerweile siebten Fall von
dessen erzsympathischem kleinbürgerlichen Kommissar Kostas Charitos,
der in vielerlei Hinsicht den Anschluss an die Moderne verpasst hat,
sich aber dennoch immer ein feines Gespür für die alltäglichen
Abgründe seiner Mitmenschen bewahren konnte, was ihn zu einem
ausgezeichneten Kriminalisten macht, dem der Aufstieg innerhalb des
Polizeiapparats ausgerechnet aufgrund seiner unverstellten
Menschlichkeit bisher verwehrt geblieben ist.
Jetzt sieht es
allerdings erstmals anders aus: sein Vorgesetzter eröffnet ihm
gleich zu Beginn des Buches überraschenderweise, dass er ihn für
eine Beförderung vorgeschlagen habe – alles was er zu tun habe,
sei weiterhin zuverlässig seine Arbeit zu verrichten, ohne dabei
durch eine weitere seiner berüchtigten eigensinnigen Eskapaden
aufzufallen. Obwohl Charitos nie der Sinn nach einer höher dotierten
Laufbahn im administrativen Innendienst gestanden hat, freut er sich
aufgrund der finanziellen Einschränkungen, denen er seit Beginn der
Krise ausgesetzt ist, auf die Chance, mithilfe höherer Einkünfte
nicht nur das eigene Leben sorgenfreier gestalten zu können, sondern
auch seine Tochter, die als bestens ausgebildete promovierte Juristin
seit Jahren keine Anstellung findet, weiterhin mit selbstlosen
monetären Zuwendungen zu unterstützen – in Griechenland heute
beileibe kein Einzelfall: zwei weitere junge Akademiker werden im
Verlaufe des Romans ebenso aus wirtschaftlichen Gründen gemeinsam
Selbstmord begehen wie eine Gruppe von hochbetagten Rentnerinnen:
„Ich habe nicht vor, mir selbst vorzulügen, dass ich Arbeit habe“,
sagt Charitos' Tochter in einem Streitgespräch mit ihren Eltern, die
verhindern wollen, dass diese eine Tätigkeit für die UNO in Uganda
annimmt. „Hier machen wir uns doch alle etwas vor. Die einen, dass
sie einen Job haben, die anderen, dass sie Reformen durchführen, die
dritten, dass sie die Gesetze anwenden. Wir leben doch alle in einer
Scheinwelt.“
In der Tat ist es für jeden Leser, der außerhalb
Griechenlands gerade nur so lala von der internationalen Finanzkrise
betroffen ist und keine wirklich existenziellen Sorgen zu bewältigen
hat, eine ausgesprochen erdende Erfahrung, Petros Markaris Bericht
aus erster Hand zu lesen. In dessen ebenso spannendem wie
geistreichen Plot geht es um einen todbringenden selbsternannten
„nationalen Steuereintreiber“, der schwerreichen säumigen
Steuerzahlern ihre Verfehlungen im Detail vorrechnet und diese zur
Zahlung von Millionenbeträgen an das jeweils zuständige Finanzamt
erpresst. Nach dem zweiten entsprechenden Mord und gezielt lancierten
Pressemeldungen, die den „nationalen Steuereintreiber“ zum
umjubelten Volkshelden aufwerten, entspinnt sich eine kapitale
Staatsaffäre – Geheimdienst und Innenministerium mischen sich
aktiv in die Polizeiarbeit ein, und Kostas Charitos muss lange um
seine wohlverdiente Beförderung bangen. Wer wirklich erfahren
möchte, wie es dieser Tage tatsächlich in Griechenland zugeht,
kommt an den Romanen von Petros Markaris nicht vorbei.
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