Jerusalem

Jerusalem

Donnerstag, 8. November 2012

„Zahltag“ von Petros Markaris

Kürzlich berichtete ein deutsches Nachrichtenmagazin über den Fall eines griechischen Journalisten, der in seiner durch die Auswirkungen von internationaler Finanzkrise und jahrzehntelangem staatlichen Missmanagement vor dem Bankrott stehenden Heimat verhaftet wurde, weil er die Namen mutmaßlich-säumiger millionenschwerer Steuersünder illegalerweise öffentlich gemacht hatte. Bemerkenswert an dieser modernen Robind-Hood-Geschichte ist allerdings weniger das für das natürliche Rechtsempfinden jedes mündigen Bürgers irritierend harte Vorgehen der Staatsorgane gegen einen lediglich im Sinne des Allgemeinwohls agierenden Rebellen, sondern vor allem deshalb, weil der Täter sich ganz offensichtlich, wenn auch auf vergleichsweise harmlose Art und Weise, von der prophetischen Handlung des im griechischen Original bereits im vergangenen Jahr erschienenen Kriminalromans „Zahltag“ von Petros Markaris (geboren 1937) inspirieren ließ, dem mittlerweile siebten Fall von dessen erzsympathischem kleinbürgerlichen Kommissar Kostas Charitos, der in vielerlei Hinsicht den Anschluss an die Moderne verpasst hat, sich aber dennoch immer ein feines Gespür für die alltäglichen Abgründe seiner Mitmenschen bewahren konnte, was ihn zu einem ausgezeichneten Kriminalisten macht, dem der Aufstieg innerhalb des Polizeiapparats ausgerechnet aufgrund seiner unverstellten Menschlichkeit bisher verwehrt geblieben ist. 

Jetzt sieht es allerdings erstmals anders aus: sein Vorgesetzter eröffnet ihm gleich zu Beginn des Buches überraschenderweise, dass er ihn für eine Beförderung vorgeschlagen habe – alles was er zu tun habe, sei weiterhin zuverlässig seine Arbeit zu verrichten, ohne dabei durch eine weitere seiner berüchtigten eigensinnigen Eskapaden aufzufallen. Obwohl Charitos nie der Sinn nach einer höher dotierten Laufbahn im administrativen Innendienst gestanden hat, freut er sich aufgrund der finanziellen Einschränkungen, denen er seit Beginn der Krise ausgesetzt ist, auf die Chance, mithilfe höherer Einkünfte nicht nur das eigene Leben sorgenfreier gestalten zu können, sondern auch seine Tochter, die als bestens ausgebildete promovierte Juristin seit Jahren keine Anstellung findet, weiterhin mit selbstlosen monetären Zuwendungen zu unterstützen – in Griechenland heute beileibe kein Einzelfall: zwei weitere junge Akademiker werden im Verlaufe des Romans ebenso aus wirtschaftlichen Gründen gemeinsam Selbstmord begehen wie eine Gruppe von hochbetagten Rentnerinnen: „Ich habe nicht vor, mir selbst vorzulügen, dass ich Arbeit habe“, sagt Charitos' Tochter in einem Streitgespräch mit ihren Eltern, die verhindern wollen, dass diese eine Tätigkeit für die UNO in Uganda annimmt. „Hier machen wir uns doch alle etwas vor. Die einen, dass sie einen Job haben, die anderen, dass sie Reformen durchführen, die dritten, dass sie die Gesetze anwenden. Wir leben doch alle in einer Scheinwelt.“
 
In der Tat ist es für jeden Leser, der außerhalb Griechenlands gerade nur so lala von der internationalen Finanzkrise betroffen ist und keine wirklich existenziellen Sorgen zu bewältigen hat, eine ausgesprochen erdende Erfahrung, Petros Markaris Bericht aus erster Hand zu lesen. In dessen ebenso spannendem wie geistreichen Plot geht es um einen todbringenden selbsternannten „nationalen Steuereintreiber“, der schwerreichen säumigen Steuerzahlern ihre Verfehlungen im Detail vorrechnet und diese zur Zahlung von Millionenbeträgen an das jeweils zuständige Finanzamt erpresst. Nach dem zweiten entsprechenden Mord und gezielt lancierten Pressemeldungen, die den „nationalen Steuereintreiber“ zum umjubelten Volkshelden aufwerten, entspinnt sich eine kapitale Staatsaffäre – Geheimdienst und Innenministerium mischen sich aktiv in die Polizeiarbeit ein, und Kostas Charitos muss lange um seine wohlverdiente Beförderung bangen. Wer wirklich erfahren möchte, wie es dieser Tage tatsächlich in Griechenland zugeht, kommt an den Romanen von Petros Markaris nicht vorbei.

„Zahltag“, aus dem Griechischen von Michaela Prinzinger, erschienen bei Diogenes, 420 Seiten, € 22,90

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.