Jerusalem

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Dienstag, 26. Januar 2021

Zum Tode von Arik Brauer (1929-2021)

Eigentlich wollte ich im Rahmen dieses Blogs nie wieder etwas veröffentlichen. Aber der Tod Arik Brauers ändert alles. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass mein Leben anders verlaufen wäre, wenn ich nicht als unglücklicher Jugendlicher auf dem elterlichen Dachboden im Nachlass meiner jung verstorbenen Tante Arik Brauers erste frei verkäufliche LP gefunden hätte. Die davon ausgelöste, intensive Beschäftigung mit seinem vielfältigen, ungewöhnlich reichem und tiefgründigen Werk dauert bis heute an und wird mit seinem Tod nicht enden. 

 

Als die Göttin Athene dem jungen, naiven zukünftigen Helden Perseus ihren spiegelnd-glänzenden Schild aus polierter Bronze aushändigte, gab sie ihm auch den weisen Rat mit auf den Weg, dass man der größten Gefahr (und ich füge hinzu: der größten Schönheit) niemals direkt ins Auge blicken sollte, sondern nur indirekt mittels ihrer Reflektion in einem dafür geeigneten Spiegel. Arik Brauer war dieser Spiegel: 

 

"Brauer malt uns das Reich, ohne das wir nicht leben können. [...] So nahe, so verschwommen, so präzise, so flimmernd [...] Es ist ein Blick in die ewige Gültigkeit. So echt kann nur jemand malen, der dort war und den Weg hierher und dorthin kennt." 

 

Das schrieb der Maler Friedensreich Hundertwasser seinem Freund und künstlerischen Weggefährten 1997 ins Stammbuch. Das folgende Interview (in einer ungekürzten, unbearbeiteten Rohfassung) mit Arik Brauer durfte ich anlässlich des Erscheinens seiner Erinnerungen im Jahr 2006 per Telefon führen. Die im Anschluss daran ausgesprochene Einladung zu einer Führung durch sein Museum werde ich nun leider nie mehr annehmen können.

 

 

Arik Brauer 2009/Foto: Manfred Werner

Herr Professor Brauer, in ihren soeben im Amalthea-Verlag erschienenen sehr unterhaltsamen Erinnerungen „Die Farben meines Lebens“ benutzen Sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – fast niemals das Wort „ich“, sondern lassen wesentliche Begebenheiten in Ihrem Leben von wechselnden menschlichen oder auch tierischen „Nebenfiguren“ erzählen. Dadurch erreichen Sie eine jeder Eitelkeit enthobene, humorvolle Distanz zur eigenen Person. Ist die von Ihnen gewählte Erzählperspektive lediglich ein Stilmittel oder auch Ausdruck Ihrer ganz persönlichen Weltsicht?

Es ist durchaus Ausdruck meiner Absicht in Bezug auf diese Erinnerungen, denn ich bin davon ausgegangen, dass ich – wenn überhaupt – interessant sein kann als Zeitzeuge – ich bin immerhin ein 29er Jahrgang der noch einigermaßen intakt ist und Erinnerungen hat, auch noch aus den 30er Jahren, da gibt’s nimmermehr so viele Leute aus den 30er Jahren, die noch existieren... Und ich bin davon ausgegangen, dass wenn so ein Buch von allgemeinem Interesse sein kann, dann nur aus diesem Grund, weil Beobachtungen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten auch – das ist vielleicht auch nicht ganz uninteressant, dass ich sehr extrem unterschiedliche soziale Schichtungen durchlebt habe, und davon wollte ich Zeugnis ablegen. Das Buch ist so strukturiert, dass vor jedem Lebensabschnitt so fünf oder sechsmal einige Sätze stehen in der Ichform, und das Buch ist so strukturiert, dass wenn jemand das Buch liest – wenn’s ihn interessiert – dass er weiß, was ich wann wo gemacht habe.

Sie sind 1929 geboren und im Wiener Arbeitermilieu der Zwischenkriegszeit aufgewachsen. Während der Nazi-Schreckensherrschaft wurden Sie als Jude verfolgt. Was auffällt, ist die Fülle der prägenden Begegnungen und Freundschaften Ihrer Jugendjahre, so lernten Sie etwa Alfred Hrdlicka und Ihren lebenslangen Freund und Mitstreiter Ernst Fuchs bereits während des Krieges kennen, den Sie im Untergrund überlebten. Aber Sie erzählen auch sogenannte „Täter-Biographien“. Welche entscheidenden Impulse erhielten Sie für Ihr Leben und Werk von Ihrem Elternhaus und durch das Erlebnis der Verfolgung?

Ja, die Kindertage oder Kinderjahre sind für jeden Menschen absolut prägend, das wissen wir. Und es ist ganz klar, dass dieses sehr beglückende Elternhaus, das ich hatte, mein Wesen und auch meinen Charakter – weitgehendst auch meinen Charakter – von vornherein festgelegt hat. Dieses starke Interesse an den Kollegen der Akademie, mit denen mich ja teilweise Lebensfreundschaften verbunden haben dann, natürlich das spielt eine große Rolle, weil das natürlich für Österreich besonders interessant ist. Also sagen wir eher für Österreich als für Deutschland oder die Schweiz, weil das sind Figuren, die hier bekannt sind und die auch eine wesentliche Rolle gespielt haben in der Kunstszene Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg, und ich in diesem Milieu einer von ihnen war und hier Zeugnis ablegen kann, wie sich die verschiedenen Leute verhalten und gestaltet haben, und natürlich hat das ganze den Charme der Studentenzeit

 

Ernst Fuchs, Arik Brauer, Friedensreich Hundertwasser ca.1973/Foto: Gert Chesi

Sie haben sich – entgegen dem Trend der Zeit – von Anfang an für die gegenständliche Malerei entschieden. Ernst Fuchs hat sie „einen der wenigen großen Künstler des 20. Jahrhunderts“ genannt. Im Prinzip kann jeder Laie die Qualität Ihrer Malerei erkennen. Belastet es Sie, dass die zeitgenössische Kunstkritik und das Kunst-Establishment Ihr Werk oft nicht angemessen gewürdigt haben?

Ich würde jetzt lügen, wenn ich sage, dass es mich nicht belastet. Es belastet mich sicherlich weniger als manche meiner Kollegen, weil ich ein glückliches Leben trotzdem führe, auch ein erfolgreiches Leben zweifellos geführt habe, und ich kann es verkraften. Ich meine, wenn ich Ausstellungen mache und die Leute stehen bis auf die Straße heraus, und ich sehe, dass es viele Menschen gibt, die sich für meine Kunst interessieren, fällt es mir leichter zu verkraften, wenn die Kunstpäpste – oder wie immer man sie nennen will – dies ablehnen. Aber zu sagen, dass mir das egal wäre, wäre nicht richtig, wäre eine Lüge. Selbstverständlich belastet mich das, und selbstverständlich sehe ich mich nicht in den Museen, in denen ich mich gern sehen würde, also meine Kunst sehen würde.

Der deutsche Baummaler Wilhelm Bobring behauptete einmal, Picasso habe zu ihm in einem privaten Gespräch kurz vor seinem Tod gesagt, er bedaure den künstlerischen Weg, den er eingeschlagen habe. Tatsächlich hat der Erfolg der abstrakten Malerei im 20. Jahrhundert zu einer Entwicklung geführt, die das eigentliche Material und die Aufgabe der bildenden Kunst scheinbar grundlegend verändert hat. Sie selbst haben von 1986 bis 1997 an der Akademie der bildenden Künste in Wien eine Meisterklasse ausgebildet. Wie sehen Sie aufgrund dieser Erfahrung die weitere Entwicklung der bildenden Kunst, und wird es die Malerei weiterhin geben?

Ja, ich bin natürlich – das schreibe ich hier, glaube ich, auch sehr deutlich in diesem Buch – selbstverständlich sehe ich in der Malerei einen Ausdruck des Homo sapiens schlechthin. Ich meine, ich vergleiche das mit dem Erlernen der Sprache, dem Potenzial eine Sprache zu erlernen – man wird ja nicht geboren in der Sprache – und ich bin auch überzeugt davon, dass diese Form durch andere Kunstformen nicht ersetzt werden kann, genauso wie ja das Theater auch nicht durch den Film ersetzt werden konnte, weil natürlich auch das Theaterspielen eine ganz grundlegende in uns eingravierte und in unserem Unterbewusstsein und Bewusstsein verankerte Möglichkeit. Was den Picasso betrifft: mir ist das neu, und ich hör das natürlich mit sehr hellem Interesse, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass so ein genialer und weiser Mann, dieser Picasso, gegen Ende erkennen musste, wohin das führt, wohin das letztlich führen muss. Und das hat sich ja – inzwischen sind wir ja gescheiter, im Nachhinein ist es ja leicht, gescheiter zu sein – das sehen wir ja Schritt und Tritt, wozu das geführt hat. Ich meine, darüber jetzt zu urteilen, ob diese Entwicklung gut oder schlecht war, das hängt eben davon ab, wie man die bildende Kunst einschätzt, wie man sie einordnet im menschlichen Geistesleben. Wenn das halt nur so war, eine Zeit lang, und jetzt wird es durch günstigere oder bessere Methoden, mit technischen Hilfsmitteln eben, ersetzt, dann ist es ja nicht schade drum, dann ist es halt vorbei. Aber so sehe ich das natürlich nicht. Ich habe von Anfang an diesen Weg gewählt, wo ich ja von Anfang an gespürt habe und gewusst habe, dass mir da der Wind ins Gesicht bläst. Nicht aus Eigensinn oder Überzeugung, sondern gefühlsmäßig. Ich hätte mir eine abstrakte Malerei – ich hab das am Anfang durchaus als Revolution und diesen frischen Wind empfunden, das war ja auch, sehr antifaschistisch hat sich das ja gebärdet, im Unterschied zur Hitler-Kunst oder zur Stalin-Kunst war das etwas Westlich-Demokratisches. Mit diesem Image ist das ja auch sehr stark in die deutschen Lande hereingekommen. Und das habe ich auch durchaus auch so empfunden, aber mir hätte das nie Freude gemacht – ich habe in der Malerei für mich immer etwas gesehen, was einen erzählerischen Charakter hat.

Wär ja auch schade um Ihr Talent gewesen...

Das ist schade um viele Talente – ich habe viele große Talente zerbrechen sehen in meiner Zeit. Aber weil Sie mich auf die Akademie angesprochen haben: natürlich, es ist ganz klar, dass Schüler, die zu mir wollten oder von denen ich also auch geglaubt habe, dass ich ihnen weiterhelfen kann, das waren von vornherein natürlich immer, oder fast immer, junge Künstler, die eine figurative Malerei betrieben. Jemand, der abstrakt von Anfang an arbeiten wollte, der ging ja nicht zu mir. Und obwohl, ich hab schon ein zwei Leute bei mir gehabt, die nicht gegenständlich gearbeitet haben. Aber ich habe natürlich gesehen sehr in dieser Zeit, etwas was ich schon früher zu wissen glaubte, aber das ich wirklich sehr deutlich, in der Zeit, wo ich an der Akademie tätig war, gesehen habe: wie ein Mensch, der eben dieses klassische Zeichen- und Maltalent mitbringt von Kindheit auf, wie der eigentlich hilflos und nicht weiß, was er hier macht. Wie der völlig eigentlich verzweifelt vor dieser Akademie dann steht, oder nicht nur vor der Akademie, sondern überhaupt vor dem gesamten Kunstgeschehen.

Das Naturerlebnis – ob beim Bergsteigen, Wandern oder Tauchen – ist eine Hauptquelle Ihrer künstlerischen Inspiration. In den 1950er Jahren haben Sie nach ausgedehnten Reisen durch Europa und Nordafrika mehrere Jahre in Israel gelebt. Inwiefern haben die Begegnungen mit der dortigen Natur und den Menschen Ihrer Malerei eine entscheidende Wendung gegeben, wie es etwa in einem Ihrer ersten „israelischen“ Bilder „Tanzende Braut“ deutlich wird?

Ja, ich bin nach Israel gekommen, ich bin ja eher ein Spätentwickler. Ich habe mich als Mensch und als Künstler nicht so rasch entwickelt wie zum Beispiel etwa der Ernst Fuchs. Und ich war damals, als ich nach Israel kam, 23, 24 Jahre alt, das erste Mal, und das war genau die Zeit, in der ich eigentlich zu mir selbst wurde. Natürlich hat das Land und die Landschaft mich – ich habe wie jeder Jude Israel natürlich eine große Emotion und ein großes romantisch gefärbtes Gefühl entgegengebracht. Selbstverständlich hat diese Landschaft mich sehr beeindruckt, wie sie jeden Europäer beeindrucken muss, jeden offenen Menschen aus Europa beeindrucken muss, weil es eine Landschaft, die Wüste, ist, die es in Mitteleuropa eigentlich nicht gibt, die natürlich einen ganz besonderen, eigenen Reiz ausstrahlt, das wurde oft gesagt und oft beschrieben. Das hat mich auch sehr beeinflusst und hat bestimmt auch eine Rolle für meine Malerei gespielt. Auf jeden Fall war das damals von meiner menschlichen Entwicklung, vom Reifungsprozess her, fiel das in die Zeit, wo ich nach Israel kam. Natürlich hat das Kennenlernen meiner zukünftigen Frau, war natürlich ein für mich persönlich sehr starkes Erlebnis und Ereignis, und ich könnt jetzt nicht sagen, wieweit es mich in der Malerei direkt... Es ist halt so: alles was den Menschen erschüttert oder beeinflusst oder bewegt, wirkt sich natürlich irgendwann und irgendwie auf seine künstlerische Tätigkeit aus.

Arik Brauer 2014/Foto: Franz Johann Morgenbesser
 

Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Judentum charakterisieren?

Na ja, im hohen Maß hat mich ja natürlich schon das Nazi-Regime zum Juden gemacht. Also, ich meine ich habe als Kind ja auch einmal die Woche die Religionsstunde besucht, ich bin gegen Ende ja auch schon, weil ich einen sehr guten Sopran gehabt habe, hat man mich natürlich schon versucht zum Singen zu bringen. Und das hat mich natürlich auch interessiert und eigentlich auch fasziniert, aber ich war nie religiös. Ich war nie religiös in einem Sinn, dass ich einen, ich hab nie einen Sinn, also auch nicht gefühlsmäßig, wie es bei Kindern üblich ist, eine Beziehung dazu angeknüpft, dass da irgendwelche Rituale eingehalten werden. Mich hat das Ritual bis heute als solches, als Folklore, als Weg, als Tätigkeit und natürlich auch als Kulturquelle, das ist das Chasanut und die daraus folgenden Kletschmerl und dass es den ganzen Zweig der Musik nicht gäbe ohne den religiösen Hintergrund. Und die Sprache gäbe es nicht, und das ist mir schon alles klar, was für eine Bedeutung das für das Judentum hatte. Aber natürlich, wenn ich mich heute – wir halten einen schönen Freitagabend mit den Kindern, auf einer lockeren Weise, wo auch gesegnet wird und so, aber eigentlich aus folkloristischen Gründen und weil das heute natürlich durch sein Alter eine ungeheure Patina hat, nicht vergleichbar mit irgendwelchen neu erfundenen Zeremonien einer Sekte. Das kann man überhaupt nicht vergleichen, das hat einen ganz anderen Körper, eine ganz andere Substanz, das ist schon klar. Aber ich bin auch nicht gottgläubig in dem Sinn, dass man sich unter Gott irgendwas vorstellen kann, einen Mann oder eine Frau, oder irgendwas. Also das trau ich mir nicht zu – ich trau’s auch niemand anders zu natürlich. Ich gehe davon aus, dass jede Ursprungsvorstellung nur falsch sein kann, weil wir nicht die Instrumente und den Verstand haben, irgendwas davon begreifen zu können.

Ich möchte noch einmal auf die Malerei zurückkommen. Friedensreich Hundertwasser sagte einmal über Sie: „Brauer malt uns das Reich, ohne das wir nicht leben können – wenn wir es nicht vor Augen haben, gehen wir in die Irre.“  Warum malt der Mensch, und warum betrachtet der Mensch Bilder?

Na ja, der Mensch entdeckt so im Alter von ein, zwei Jahren, dass wenn er herumkritzelt auf einem weißen Blatt, Bleistift und ein weißes Papier ist eine unwiderstehliche Versuchung für jedes Kind. In einem bestimmten Alter kommt er drauf, dass er nicht nur, indem er hin- und herkritzelt, nur Spuren seiner Bewegung entdeckt, sondern dass er imstande ist, etwas zu zeichnen, was ein Kürzel von einer Darstellung ist. Eben das berühmte „Punkti, Punkti, Strichi, Strichi – ist das nicht ein Mondgesichti?“ Und das ist natürlich eben wirklich ein Ereignis, das ich nur vergleichen kann mit dem Ereignis, dass Laute plötzlich einen abstrakten Sinn kriegen, nämlich eine Sprache kriegen. Und darin sehe ich die bildende Kunst, es ist etwas, das für den Menschen absolut notwendig ist. Es ist so – es überdeckt vieles, es hat einen so breiten Fächer: das ist ja die Versuchung, dass man hergeht und sagt, die Ausweitung des Kunstbergriffes, es hat einen enorm breiten Fächer: die Kunst kann propagandistisch sein, sie kann erzählerisch und belehrend sein, sie kann verstören – auch das kann sie, aber wenn sie nur verstört, ist sie auch wieder nichts... Sie kann natürlich auch schmeicheln und streicheln und den Menschen einlullen und glücklich machen – das muss sie auch können. Die Kunst deckt sehr viel ab. Wieso kann der Mensch Freude haben beim Betrachten von Bildern? Offensichtlich hat er sie, sonst gäbe es nicht diese Museen und diese Massen von Menschen, die von einem Eck der Welt ins andere fahren, um diese Museen zu sehen. Wieso ist das so? Nun ja, er sieht auf einer zweidimensionalen Fläche – ich spreche jetzt von der figurativen Malerei der Vergangenheit natürlich, das ist ja vor allem das, was die Menschen so fasziniert und anzieht – er illusioniert dreidimensionale Dinge, und es wird eine Phantasiewelt aufgebaut, zu der er mehr oder weniger Zugang haben kann. Er sieht auch – es ist ein Übertragen des Malers auf den Beschauer auf eine geheimnisvolle Weise: er kennt den Maler nicht persönlich in den meisten Fällen, und trotzdem hat er mit ihm eine Zwiesprache. 

Die sogenannte „Holocaust-Aktion“ von Santiago Sierra in Pulheim war eine der umstrittensten Kunstaktionen in Deutschland der letzten Jahre. Trotz berechtigter prinzipieller Zweifel fühlt sich der Künstler aufgrund der scharfen Verurteilung von vielen Seiten unverstanden. Auf der anderen Seite löste auch die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin im Vorfeld heftige Kontroversen aus. Wie kann Gedenken Ihrer Meinung nach künstlerisch am angemessensten ausgefüllt werden?

Naja, ich unterscheide natürlich zwischen Aktionen, die einen theaterartigen Charakter haben und in dieser Form auch ihre Qualität haben können und bildender Kunst. Also diese totale Vermischung, davon halte ich natürlich nichts. Diese Aktion – für einen Juden natürlich ist das schwer zu verdauen, das ist ja ganz klar. Ich habe meinen Vater in solch ein Gaskammer verloren, und es wäre mir lieber, so etwas wird gemacht wenn ich nimmer mehr lebe. Ob das jetzt produktiv oder kontraproduktiv im Sinne der Erinnerung ist – das ist eine schwierige Frage, die ich mir eigentlich nicht zu beantworten traue. Von meiner Perspektive aus, soweit ich in Österreich mein Ohr am Herzen, am Puls der Österreicher habe – und das habe ich – ist ein Überangebot von diesen Themen bereits vorhanden, meiner Meinung nach. Die Leute haben genug davon, und man weiß es – das ist bekannt, es sind Einzelfiguren, die da krampfhaft versuchen, den Holocaust zu verzerren oder abzustreiten – die Menschheit weiß, es ist passiert und muss damit leben. Und natürlich dürfen sie es nicht vergessen, aber künstlerisch das darzustellen, ist wirklich ein Problem. Ich habe mich natürlich oft gefragt, was wäre – was ja nie hätte der Fall sein können – aber was wäre gewesen, wenn an mich die Gemeinde Wien herangetreten wäre und gesagt hätte, mach ein Holocaust-Denkmal. Ich hätte auch nicht gewusst, wie ich es machen sollen. Aber auf keinen Fall hätte ich das gemacht, was in Wien jetzt passiert ist: so eine verschlüsselte modernistische Kiste, angeblich sollen es Bücher sein, und im zweiten wird einem dann erklärt, warum die Juden das Volk der Bücher sind, und im dritten wird einem erklärt, was das mit dem Holocaust zu tun hat. Das ist zu intellektuell, zu kompliziert, als dass es den Passanten erreichen kann. Das ist sehr schwer – ich habe das in Berlin nicht gesehen, ich werde auf jeden Fall im Herbst nach Berlin kommen und es sehen, aber ich kann darauf keine Antwort geben. Natürlich auf keinen Fall halte ich diese verschlüsselten modernen Möglichkeiten, dass man dann irgendeine Idee hat – man spricht ja von einer Konzept-Kunst – dass man dann eine Idee hat, die dann besser oder schlechter ist und die soll das jetzt tragen und zwar Jahrhunderte lang, weil das bleibt ja stehen, das halte ich für problematisch. Ich meine, man soll sich einmal vorstellen, was in hundert Jahren, wenn drei oder vier Generationen gelebt haben, was die mit solchen Grabstein-Massen anfangen, ich meine: ob sie das bewegt, ich kann das nicht beurteilen, ich habe meine Zweifel.

 

Arik Brauer 2009/Foto: Manfred Werner

Ihr politisches Engagement ging von jeher über die Aussage Ihrer Werke (wie das Mappenwerk „Menschenrechte“) hinaus. Sie haben sich bewusst immer wieder in die sogenannte „Tagespolitik“ eingemischt, vor allem in Bezug auf einen nachhaltigen Umgang mit der Erde und ihren natürlichen Ressourcen. Aber auch Krieg ist ein vorherrschendes Thema Ihrer Malerei, so haben Sie geradezu atemberaubend schöne Bilder von atomaren Explosionen gemalt. Wie erklären Sie sich die Faszination, die vom Bösen auszugehen vermag?

Nun ja, wenn wir schon über Judentum auch sprechen, in der Bibel steht ja schon, dass der Teufel der schönste aller, dass Satan der schönste aller Engel war. Das ist ja ein enorm kluger, einer der vielen enorm klugen und richtungsgebenden Aussprüche in der Bibel, weil im Schönen liegt natürlich eine unerhörte Gefahr, weil es verführt. Und ich meine, so eine Atomexplosion – man sieht das manchmal in Filmen oder auch auf Fotos – so ein Atomkegel, so eine Explosion, das ist von atemberaubender Schönheit, das ist ja überhaupt keine Frage. Und gerade darin liegt ja das absolute Entsetzen. Also diese Form von Schrecken, wie man sie in Kindermärchen findet, ein finsterer Keller mit Mauerasseln und Ratten, wird davon ja bei weitem übertroffen, diese Stufe von strahlend blauem Himmel mit wunderbarem Atompilz ist ja in Wirklichkeit viel, viel gefährlicher. So sehe ich das. Und natürlich, das kommt ja auch in meinen Bemühungen mit meinen Chansons, die ich geschrieben habe, immer wieder, diese Form der Darstellung zum Ausdruck, dass ich die Sachen schon verpacke, verpacken will, weil ich weiß, dass der Mensch – wenn man ihm, wie man auf Österreichisch sagt, mit’m Stöwag’n ins G’sicht fahrt, wenn man ihm so voll hineinhaut den Schreck – dass er, so wie man eine kalte Dusche kriegt, zieht sich der Körper zusammen. Der Mensch zieht sich oft, nicht immer, aber sehr oft, zieht er sich zusammen und stößt es ab und verdrängt es. Wenn es aber kommt auf eine Weise, die er irgendwie verdauen kann, und die er akzeptieren kann, die natürlich auch offenlässt eine Toleranz letztlich auch für die Täter, also ein Verständnis, sagen wir so, ein „Wieso kam’s dazu“, dann ist er eher bereit, es zu akzeptieren, und das halte ich dann für wirkungsvoller. Und das ist ja sicher auch einer der Gründe, warum ich mich so intensiv beschäftigt habe mit Täterprofilen in diesem Buch. Es sind ja Leute, die ich recherchiert habe, das habe ich ja nicht erfunden, ich habe ja recherchiert. Ich habe den Menschen, den ich damals z’sammg’haut hab in der Lobau, ja noch gesehen und mit ihm gesprochen, ich weiß ja, was der erlebt hat. Warum? Weil ich natürlich wie viele Juden danach lechze zu begreifen, warum haben die uns das angetan.

In Ihren Erinnerungen beschreiben Sie Ihre kurzwährende Begeisterung für den Kommunismus nach der Befreiung durch die russische Armee 1945 und Ihre Abkehr davon und von jeder anderen Ideologie. Warum fällt der Mensch immer wieder auf die Kopfgeburten selbsternannter Weltverbesserer herein?

Die grundlegende Bereitschaft vor allem bei jungen Menschen ist natürlich, dass ein junger Mensch, wenn er in das Alter kommt, wo er sieht, dass nicht alles so ist, wie es sein sollte oder sein müsste, natürlich auch sofort von der Sehnsucht gepackt wird, etwas zu finden, das diese Sache verbessern kann. Diese Bereitschaft ist bei sehr vielen jungen Menschen, vielleicht sogar bei allen prinzipiell vorhanden. Und jetzt kommt es darauf an natürlich, welchen Background er hat. Was den Kommunismus betrifft – dadurch dass ich aus so einem austro-marxistischen Familienmilieu herausgekommen bin, habe ich ja von der Grundlage schon einmal eine große Bereitschaft dazu gehabt, und es ging nur noch darum festzustellen, warum das den Sozialisten nicht gelungen ist. Wenn man jung ist, neigt man natürlich zu raschen und exzessiven und intensiven Lösungen, das muss ja alles passieren jetzt, während ich auf der Welt bin, das ist ja ganz normal. Und da tappt man hinein. Und ich bin sicher, dass sehr, sehr viel, wahrscheinlich die Mehrheit der Jungen, die in die Nazi-Ideologie hineingekommen sind, nicht anders gegangen ist. Der Antisemitismus hat schon eine enorme Rolle gespielt, aber das war natürlich nicht im absoluten Zentrum der Idee. Das Zentrum der Idee war schon „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen“. Wir werden alles in Ordnung bringen, wir werden alles machen, und alles ist leiwaund.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eine ganz andere Frage stellen: Es heißt, Sie verzehren jeden Morgen mit großem Appetit ein traditionelles jemenitisches Frühstück nach dem Rezept der Vorfahren Ihrer Frau Naomi. Verraten Sie uns dieses Rezept?

(Lacht) Ja, Olivenöl auf Cottage-Käse und darauf Oregano, und es ist sehr bekömmlich für mich. Ich habe Olivenbäume in Israel, die alle zwei Jahre geerntet werden, früher von mir, und jetzt von irgendwem, und das Öl genügt dann für die ganze Großfamilie für zwei Jahre, und weil ich natürlich auch eine Amortisationsneurose habe, fress ich seitdem natürlich ununterbrochen Olivenöl, keine Butter mehr...