„Deutsche Fische – so wie ich sie liebe“ heißt das
neue großformatige Kochbuch des bärbeißigen norddeutschen Fernsehkochs und
Spezialisten für rustikale Hausmannskost Rainer Saß. Man fragt sich, ob die von
ihm porträtierten Fische Aal, Forelle und Kabeljau wohl damit einverstanden
wären, dass man ihnen ausgerechnet in einem Werk der Kochliteratur einfach
kollektiv die deutsche Staatsbürgerschaft verleiht? Ist nicht gerade die
unstete, schwer fassbare Spezies der Fische – und innerhalb dieser die
grenzüberschreitenden internationalen Meeresbewohner noch viel mehr als jene,
die große länderübergreifende Flüsse und Ströme bevölkern – nicht geradezu dazu
bestimmt als originäre liberale Freigeister und ungebundene, reiselustige
Weltbürger par excellence zu gelten? Warum hat die angeblich verstandesmäßig
allen anderen irdischen Lebewesen haushoch überlegene menschliche Spezies
Nationalstaaten und Fremdenhass hervorgebracht, während sämtliche Ordnungen der
Fische, soweit wir zu wissen glauben, eine Unterscheidung nach solcherart
Kriterien nicht zu kennen scheint? Was unterscheidet jene angeblich deutschen
Fische von sagen wir: französischen, polnischen – oder gar von jüdischen? Und warum
zieht sie der spröde Küchenchef anderen vor?
Wenn es
allerdings einen Fisch gibt, den man einigermaßen guten Gewissens als
unverfälscht „jüdisch“ bezeichnen darf, dann ist es der berühmt-berüchtigte
„gefillte Fisch“, dem nicht wenige unerschrockene Feinschmecker bei
entsprechend sorgfältiger Zubereitung durchaus elementare, scharf umrissene Gaumenfreuden
abgewinnen können, dessen Genuss ansonsten aber eher zu extremen kulinarischen
Positionen anregt, die kaum gegensätzlicher ausfallen könnten: wer ihn nicht
mag, wird ihn kein zweites Mal probieren – und der dennoch in kaum einem
traditionell-aschkenasischem Festtagsmahl als Vorspeise fehlen darf.
Die Wiener
Historikerin, Autorin und Filmemacherin Helene Maimann hat in ihrem
unterhaltsam-boulevardesken neuen Buch „Gefillte Fisch & Lebensstrudel –
Eine jüdische Kochshow“ zahlreiche interessante Anekdoten, kulturgeschichtliche
Denkwürdigkeiten sowie einige der bekanntesten traditionellen und neuen Rezepte
der jüdischen Küche zusammengetragen, die in ihrer abwechslungsreichen Vielfalt
ein wunderbares, höchst aussagekräftiges Beispiel dafür abliefern, dass und wie
sehr Essen und Kochen ebenso wie die Alltagssprache oder das Leben selbst einer
ständigen Wiederbelebung und Erneuerung durch unterschiedlichste neue Einflüsse
ausgesetzt sind. So kam die Entdeckung von Fisch für die jüdische Küche geradezu
einer kleinen Revolution gleich, da er zu keiner der beiden wesentlichen
Kategorien zählt, die nicht gemeinsam verzehrt werden dürfen: fleischig und
milchig und der sich daher für zahlreiche unbegrenzte Zubereitungsvariationen
eignet, selbst wenn es nach den detaillierten jüdischen Speisegesetzen auch
zahlreiche Fischarten und andere Meeresbewohner gibt, die aufgrund ihrer
spezifischen Eigenschaften als unrein gelten und somit überhaupt nicht verzehrt
werden dürfen.
Auch wenn viele Gerichte, die wir heute mit jüdischer Küche
assoziieren wie gehackte Leber, Bagel, sauer eingelegtes Gemüse oder eben der
unvermeidliche gefüllte Karpfen grundsätzlich eher die wenig spektakuläre
Arme-Leute-Küche des osteuropäischen Schtetl symbolisieren, ist dies nur eine
sehr begrenzte Seite ihres vielfältigen internationalen Spektrums: Die jüdische
Küche kennt keine Kulturgrenzen und ist im Laufe der Jahrhunderte immer für
Anregungen anderer kulinarischer Traditionen offen gewesen, wovon einerseits
das bereits vor fünf Jahren auf Deutsch erschienene wunderbare Kochbuch „Die neue israelische Küche“ von Janna Gur Zeugnis ablegt, worin vor allem
europäische und nahöstliche Einflüsse auf einzigartige Weise zu einer ganz
neuen kulinarischen Landschaft zusammenfließen und auf noch internationalere
Art und Weise, da mit regionsspezifischen Rezepten aus allen wesentlichen
jüdischen Gemeinden in der gesamten jüdischen Diaspora, das soeben veröffentlichte englischsprachige Kochbuch „Cooking from the Heart - A Journey Trough Jewish Food“ von Hayley Smorgon und Gaye Weeden. Es mag – bei einigem
berechtigten Zweifel – durchaus einige Fische geben, die Wert auf die deutsche
Staatsbürgerschaft legen – die reichhaltige jüdische Küche bleibt davon zu
Recht unbeeindruckt.
„Gefillte Fisch und Lebensstrudel“, erschienen bei Picus, 154 Seiten, € 16,90
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