Jerusalem

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Dienstag, 20. November 2012

Jüdischer Fisch und deutsche Fische

„Deutsche Fische – so wie ich sie liebe“ heißt das neue großformatige Kochbuch des bärbeißigen norddeutschen Fernsehkochs und Spezialisten für rustikale Hausmannskost Rainer Saß. Man fragt sich, ob die von ihm porträtierten Fische Aal, Forelle und Kabeljau wohl damit einverstanden wären, dass man ihnen ausgerechnet in einem Werk der Kochliteratur einfach kollektiv die deutsche Staatsbürgerschaft verleiht? Ist nicht gerade die unstete, schwer fassbare Spezies der Fische – und innerhalb dieser die grenzüberschreitenden internationalen Meeresbewohner noch viel mehr als jene, die große länderübergreifende Flüsse und Ströme bevölkern – nicht geradezu dazu bestimmt als originäre liberale Freigeister und ungebundene, reiselustige Weltbürger par excellence zu gelten? Warum hat die angeblich verstandesmäßig allen anderen irdischen Lebewesen haushoch überlegene menschliche Spezies Nationalstaaten und Fremdenhass hervorgebracht, während sämtliche Ordnungen der Fische, soweit wir zu wissen glauben, eine Unterscheidung nach solcherart Kriterien nicht zu kennen scheint? Was unterscheidet jene angeblich deutschen Fische von sagen wir: französischen, polnischen – oder gar von jüdischen? Und warum zieht sie der spröde Küchenchef anderen vor?


Wenn es allerdings einen Fisch gibt, den man einigermaßen guten Gewissens als unverfälscht „jüdisch“ bezeichnen darf, dann ist es der berühmt-berüchtigte „gefillte Fisch“, dem nicht wenige unerschrockene Feinschmecker bei entsprechend sorgfältiger Zubereitung durchaus elementare, scharf umrissene Gaumenfreuden abgewinnen können, dessen Genuss ansonsten aber eher zu extremen kulinarischen Positionen anregt, die kaum gegensätzlicher ausfallen könnten: wer ihn nicht mag, wird ihn kein zweites Mal probieren – und der dennoch in kaum einem traditionell-aschkenasischem Festtagsmahl als Vorspeise fehlen darf. 

Die Wiener Historikerin, Autorin und Filmemacherin Helene Maimann hat in ihrem unterhaltsam-boulevardesken neuen Buch „Gefillte Fisch & Lebensstrudel – Eine jüdische Kochshow“ zahlreiche interessante Anekdoten, kulturgeschichtliche Denkwürdigkeiten sowie einige der bekanntesten traditionellen und neuen Rezepte der jüdischen Küche zusammengetragen, die in ihrer abwechslungsreichen Vielfalt ein wunderbares, höchst aussagekräftiges Beispiel dafür abliefern, dass und wie sehr Essen und Kochen ebenso wie die Alltagssprache oder das Leben selbst einer ständigen Wiederbelebung und Erneuerung durch unterschiedlichste neue Einflüsse ausgesetzt sind. So kam die Entdeckung von Fisch für die jüdische Küche geradezu einer kleinen Revolution gleich, da er zu keiner der beiden wesentlichen Kategorien zählt, die nicht gemeinsam verzehrt werden dürfen: fleischig und milchig und der sich daher für zahlreiche unbegrenzte Zubereitungsvariationen eignet, selbst wenn es nach den detaillierten jüdischen Speisegesetzen auch zahlreiche Fischarten und andere Meeresbewohner gibt, die aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften als unrein gelten und somit überhaupt nicht verzehrt werden dürfen. 


Auch wenn viele Gerichte, die wir heute mit jüdischer Küche assoziieren wie gehackte Leber, Bagel, sauer eingelegtes Gemüse oder eben der unvermeidliche gefüllte Karpfen grundsätzlich eher die wenig spektakuläre Arme-Leute-Küche des osteuropäischen Schtetl symbolisieren, ist dies nur eine sehr begrenzte Seite ihres vielfältigen internationalen Spektrums: Die jüdische Küche kennt keine Kulturgrenzen und ist im Laufe der Jahrhunderte immer für Anregungen anderer kulinarischer Traditionen offen gewesen, wovon einerseits das bereits vor fünf Jahren auf Deutsch erschienene wunderbare Kochbuch „Die neue israelische Küche“ von Janna Gur Zeugnis ablegt, worin vor allem europäische und nahöstliche Einflüsse auf einzigartige Weise zu einer ganz neuen kulinarischen Landschaft zusammenfließen und auf noch internationalere Art und Weise, da mit regionsspezifischen Rezepten aus allen wesentlichen jüdischen Gemeinden in der gesamten jüdischen Diaspora, das soeben veröffentlichte englischsprachige Kochbuch „Cooking from the Heart - A Journey Trough Jewish Food“ von Hayley Smorgon und Gaye Weeden. Es mag – bei einigem berechtigten Zweifel – durchaus einige Fische geben, die Wert auf die deutsche Staatsbürgerschaft legen – die reichhaltige jüdische Küche bleibt davon zu Recht unbeeindruckt.

„Gefillte Fisch und Lebensstrudel“, erschienen bei Picus, 154 Seiten, € 16,90

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