Siebzehn
Tage vor Kriegsende, in der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945,
einen Tag bevor sich der Belagerungsring der russischen Armee
endgültig um Berlin schloss, wurde eine von der Gestapo gezielt
ausgewählte Gruppe siebzehn sogenannter „politischer Häftlinge“,
fast ausnahmslos Beteiligte oder Mitwisser des misslungenen
Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944, bei einer vorgeblichen Überführung
vom Zellengefängnis „Moabit“ zum nahe gelegenen SD-Hauptamt auf
einem weitläufigen Trümmerfeld nahe des Potsdamer Bahnhofs von
einem Trupp der SS mit besonderer Heimtücke ermordet, die Leichen
einfach an Ort und Stelle liegengelassen.
Wie
durch ein Wunder überlebte einer der unglücklichen Häftlinge das
Blutbad und konnte so Wochen später Vetreter der siegreichen
alliierten Truppen zum Tatort führen, so dass die sterblichen
Überreste sämtlicher Opfer zweifelsfrei identifiziert und
standesgemäß bestattet werden konnten. Zu den prominentesten
Ermordeten gehörte auch der 1903 in München geborene Geograph,
Schriftsteller und Diplomat Albrecht Haushofer, in dessen
Manteltasche sich, auf fünf eng beschriebenen, blutdurchtränkten
DIN-A-4-Seiten, ein beeindruckendes literarisches Vermächtnis von
achtzig Sonetten in streng-gereimterer klassischer Form fand, das
ohne Zweifel zu den aufrüttelndsten lyrischen Dokumenten des
Widerstands gegen das NS-Regimes gezählt werden muss.
Jetzt
ist im Rahmen der dringend wiederzuentdeckenden kleinen Kostbarkeiten
der Weltliteratur gewidmeten kleinen Reihe textura im
Münchener Beck-Verlag eine wunderbare Neuausgabe letzter Hand der
„Moabiter Sonette“ mit einem ebenso kenntnisreichen wie
erhellenden Kommentar von Ursula Laack erschienen, die diesem
einzigartigen Dokument poetischer Weltdurchdringung endlich auch eine
buchkünstlerisch ansprechende Form verleiht. Allein die Entstehungs-
und Editionsgeschichte dieser achtzig Sonette von beeindruckender
Intensität und Strahlkraft ist so voller erzählenswerter
Geschichten, dass es mitunter schwer fällt, sich wieder auf den Text
zu besinnen, dessen reiches assoziatives Umfeld nicht nur im
metaphorischen Sinne weit über die Erfahrung der unschuldigen Haft
hinausweist:
Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt,
Ist unter Mauerwerk und Eisengittern
Ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern,
Das andrer Seelen tiefe Not enthüllt.
Ich bin der erste nicht in diesem Raum,
In dessen Handgelenk die Fessel schneidet,
An dessen Gram sich fremder Wille weidet.
Der Schlaf wird Wachen wie das Wachen Traum.
Indem ich lausche, spür ich durch die Wände
Das Beben vieler brüderlicher Hände.
Aus
heutigem Blickwinkel erscheint Albrecht Haushofer eher als
widersprüchlich-gebrochene Persönlichkeit: ausgegrenzt als „Vierteljude“
aufgrund der verblendeten Rassen-Terminologie des Nationalsozialismus,
konnte er ausgerechnet durch die Protektion von Rudolf Hess, einem
ehemaligen Studenten seines Vaters, nicht nur als odentlicher
Professor für Geographie an der Berliner Universität Karriere
machen, sondern wurde bis zu seiner endültigen Desillusionierung
Ende der 30er Jahre darüber hinaus auch mit Zahlreichen
diplomatischen Aufgaben für das Außenministerium Ribbentrops
betraut. Sein Vater Karl Haushofer (1869-1946) gilt als einer der
Begründer der Geopolitik, der auf naive Art und Weise, wenn auch
ohne es zu wollen, Hitlers hegemoniale Großmachtsfantasien
wissenschaftlich befeuerte:
Für meinen Vater war das Los gesprochen.
Es lag einmal in seines Willens Kraft,
den Dämon heimzustossen in die Haft.
Mein Vater hat das Siegel aufgebrochen.
Den Hauch des Bösen hat er nicht gesehn.
Den Dämon ließ er in die Welt entwehn.
Obwohl
er sich der aktiven Verfehlungen und Unterlassungssünden seines
Vaters schon sehr frühzeitig nur allzu bewusst war, hat Albrecht
Haushofer noch lange die idealistisch-motivierte Illusion gehegt, er
selber könne, indem er in verantwortungsvoller Position im System
der Nationalsozialisten Einfluss zu nehmen versuche, möglicherweise
Schlimmeres verhindern. Schon im März 1933 schrieb er an seine
Mutter:
Der
einzige Trost ist ein sehr negativer – nämlich die Überzeugung,
dass wir einer so grossen allgemeinen Katastrophe entgegengehen, dass
es auf die persönliche bald nicht mehr ankommen wird.
Spätestens
jedoch die Erfahrung rücksichtslos-entfesselter brutaler Gewalt
während der unseligen Pogromnacht vom 9. November 1938, die
Haushofer als unmittelbare Reaktion der Machthaber auf die während
der Münchener Konferenz wegen der nachlässig-unentschlossenen
Haltung Großbritanniens unerfüllt gebliebenen sofortigen
Kriegshoffnungen beurteilte, ließ ihn die Vergeblichkeit seiner
Bemühungen engültig erkennen. Ribbentrop selbst hatte eines seiner
letzten Dossiers über eine Mission in London mit dem Kommentar
„Secret-Service-Propaganda“ quittiert.
Nach
Rudolf Heß' rätselhaftem Englandflug am 10. Mai 1941 wurde
Haushofer für mehrere Wochen interniert, da man ihn (nicht völlig
zu Unrecht) verdächtigte, an den Vorbereitungen beteiligt gewesen zu
sein. Und nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler im Sommer 1944
verhaftete ihn die Gestapo in der Bergeinsamkeit seiner seit
Kindheitstagen geliebten, bereits seit Generationen in Familienbesitz
befindlichen Partnachalm bei Garmisch-Partenkirchen, auf die er auch
in einem seiner „Moabiter Sonette“ wehmütig zurückblickt.
Man hat mich über meine Flucht befragt,
Warum ich nicht den Weg zum Rhein genommen,
Zur nahen Schweiz den jungen Strom durchschwommen,
Bevor man gründlich erst nach mir gejagt.
Ich wollte nicht aus meiner Heimat gehn.
Sie schien mir lange guten Schutz zu gönnen.
Dann hat auch sie mich nicht mehr bergen können.
Ich werde lebend kaum sie wiedersehn.
In der
zwangsweisen, klösterlich nach innen gekehrten Isolation der
Gefängnishaft vollzieht sich eine beeindruckende geistige und
spirituelle Vervollkommnung der Persönlichkeit Haushofers. Seine
„Moabiter Sonette“ offenbaren eine ebenso intensive wie
schonungslose Selbstanalyse sowie eine weitreichende philosophische
und politische Durchdringung der Realität mit allen Mitteln der
Poesie. Sie sind nicht nur die hellwach-gefasste Bilanz eines von
zahlreichen Irrtümern geprägten und dem Ideal einer zu schaffenden
Einheit von Lebensrealität, Kunst und Politik gewidmeten Lebens,
sondern auch Ausdruck der geistigen Überwindung der beklagenswerten
politischen und gesellschaftlichen Umstände.
Die
einzelnen Sonette sind untereinander durch eine geradezu
traumwandlerisch-leichte, von zahlreichen nur scheinbar unbewussten
Assoziationen geleiteten, reichhaltigen Kette von Einzelmotiven aufs
engste miteinander verbunden. Wie wir heute wissen, kursierten
einzelne Sonette auch unter Haushofers Mitgefangenen, gaben diese
nicht nur Hoffnung und geistige Beschäftigung in der jeweiligen
Zelleneinsamkeit, sondern zweifellos auch das Gefühl einer
gemeinsamen Identität als unrechtmäßig Verfolgte: Solidarität.
Den sicher erwarteten Tod gelingt es Haushofer am Ende seines
Manuskripts sogar zu umarmen und das Motiv der gebundenen Hand zu
einem der Hoffnung zu verwandeln:
Dann weiss ich, aus dem Träumen aufgestört,
Wie einer fühlt in seinen letzten Stunden,
Der, an ein ruderloses Boot gebunden,
Den Fall des Niagara tosen hört.
Die Wasser schlagen an des Bootes Rand.
Sie strömen rasch. Gebunden – ist die Hand.
Dass
ein System der Despotie lediglich den Körper zu knechten vermag,
während der Geist frei bleibt, erscheint als wesentliche
künstlerische Aussage angesichts der unvorstellbaren Grausamkeiten,
die der Nationalsozialismus zu verantworten hat, beinahe schon
trivial. Doch die Tatsache, dass diese achtzig handwerklich perfekten
Sonette von unbezwingbar scheinendem Widerstandsgeist und
unbestreitbarer moralischer Lauterkeit blutbefleckt in der Tasche
eines unschuldig Ermordeten gefunden wurden und bis heute vernommen
werden können, scheint diese hoffnungsvolle Einschätzung nicht nur zu bekräftigen, sondern
auf möglicherweise zukunftsweisende Art und Weise sogar zu beweisen.
„Moabiter Sonette“, erschienen bei C.H. Beck, 128 Seiten, € 16,95
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