Jerusalem

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Samstag, 2. März 2013

„Brief in die Auberginenrepublik“ von Abbas Khider

Einer der sieben verschiedenen Icherzähler in Abbas Khiders neuem, atemlos die Länder des Arabischen Frühlings an dessen noch kaum vorauszuahnendem Vorabend durchquerenden Roman „Brief in die Auberginenrepublik“, der einundvierzigjährige Kairoer Majed, setzt sich in melancholischer Stimmung ins Kaffeehaus seines nach viertägigem Verhör durch die ägyptische Geheimpolizei unter ungeklärten Umständen verstorbenen Freundes, um Zeit bis zu seinem nächsten Geschäftstermin zu überbrücken. Während er sich, wehmütig seinen Tee schlürfend und Wasserpfeife rauchend, an seinen lebenslangen engen Freund erinnert, fällt sein Blick auf die alte Wanduhr:

Ich muss lächeln, weil sie wie üblich die falsche Uhrzeit anzeigt. Sie zeigt immer 17 Uhr. Ich schaue auf meine Armbanduhr: 13.20 Uhr

Doch die zeitentrückte, immer wieder nur sieben Uhr schlagende Kuckucksuhr im Cafe Phönix ist lediglich ein Symbol von vielen für die außer Takt geratene Welt von der Abbas Khider in seinem Buch so kenntnisreich und virtuos erzählt. Sein mittlerweile dritter Roman ist ein furioser literarischer Kettenbrief: alle seine Protagonisten sind auf irgendeine Art und Weise in den Transport illegaler Briefe verwickelt, den ein findiger irakischer Geschäftsmann als einträgliches Zusatzgeschäft für sich und seine zahlreichen Geschäftspartner in den arabischen Ländern entdeckt hat. 



Auch Majed, Besitzer eines kleinen Reisebüros, verdient an jedem erfolgreich weitergeleiteten Brief ein Viertel des hoffnungslos überteuerten Portos in Gesamthöhe von 200 Dollar und garantiert seinen Kunden, allesamt Exil-Irakern, dafür, dass deren Briefe nicht durch die Hände der irakischen Militärzensur laufen werden. Während Majed die lukrativen Geschäftsbedingungen erläutert und in seinem Inneren die Beziehung zu seinem verstorbenen Freund Revue passieren lässt, erfahren wir nicht nur gleichsam aus erster Hand und in exemplarischer Kürze von den elenden Lebensbedingungen im Ägypten der mittlerweile überwundenen Mubarak-Ära, sondern insbesondere auch auf besonders unmittelbare und glaubwürdige Art und Weise, wie sich die politischen Verhältnisse auf die eigentlichen „unbekannten“ Protagonisten der Weltgeschichte und späteren Helden der arabischen Revolution auswirken.

Abbas Khider lässt uns den Weg des Briefes über tausende von Kilometern von seinem Absender, dem im libyschen Bengasi lebenden Bauarbeiter und ehemaligen Studenten der Literaturwissenschaften Salim, über die weiteren Stationen Ägypten und Jordanien bis an seinen finalen Bestimmungsort Saddam City, Baghdad, Irak, mitverfolgen, wobei ihm das absolut bewundernswerte Kunststück gelingt, uns dabei auf unterhaltsamste Art und Weise tiefe Einblicke in die unterschiedlichen Lebenswelten seiner Überbringer, Adressaten – und letztlich auch seiner Zensuratoren zu gewähren: denn natürlich weiß der irakische Geheimndienst längst vom großen internationalen Geschäft mit den illegalen Briefen und hat zu deren lückenloser Kontrolle bereits eine eigene Behörde eingerichtet.

Es ist absolut bemerkenswert, wenn ein Schriftsteller, der in einer anderen Sprache als seiner Muttersprache schreibt, diese so virtuos zu verwenden in der Lage ist, dass jeder seiner Protagonisten für den Leser deutlich erkennbar mit einem ganz eigenen, individuellen Ton ausgestattet ist, der die unterschiedlichsten ihrer Affekte scheinbar mühelos auszudrücken und zu tragen vermag. Genau dies gelingt Abbas Khider auch in seinem neuen Buch wieder mit geradezu traumwandlerisch-schwerelos scheinender Sicherheit; dabei erweist er sich nach seinem großen Erfolg mit seinem zeitgleich nun auch als Taschenbuch vorliegenden, von der Kritik gefeierten Roman „Die Orangen des Präsidenten“ als Meister des feinen poetischen Mitgefühls und des stillen menschenfreundlichen Humors, der all seine Figuren stets mit bedingungsloser, tröstlicher Sympathie betrachtet.

Die größte Herausforderung für den im Jahr 1996 selbst aus „politischen Gründen“ im Irak zeitweise inhaftierten Schriftsteller, geboren 1973 in Baghdad, war dabei zweifelsohne die literarische Ausgestaltung der beiden mephistophelischen Täterfiguren aus der SS-haften irakischen Militärmaschinerie, die die unterschiedlichen Notsituationen ihrer zahlreichen Opfer skrupellos zur persönlichen Bereicherung ausnutzen und dabei auch willentlich über Leichen gehen, während auch sie privat dem Traum von einem beschaulich-spießigen Familienleben huldigen.

Dass Abbas Khider als ein dem arabischen Kulturraum zugehöriger Schriftsteller in seinem dem Roman vorangestellten Motto ein Gedicht von Rose Ausländer zitiert, sagt ebenso viel über das ungewöhnlich ausgeprägte Sprachvermögen des Autors aus wie über seine weltumarmende Philosophie, die absolut im modernen westlichen Pluralismus des Internetzeitalters verankert ist, welcher stets mit Verve die „guten Dinge“ aufzuspüren und herauszufiltern vermag und sich mit aller Macht zu ihnen bekennt.

So markiert der Autor mit seinem großartig-tiefgründig-unterhaltsamen Roman gleichzeitig auch das bevorstehende Ende der maroden totalitären arabischen Gesellschaften des Zwanzigsten Jahrhunderts durch die Auswirkungen der technischen Revolution der Internet-Kommunikation, welche nicht nur den herkömmlichen Briefverkehr endlich obsolet machte, sondern schließlich auch als unerlässliche Vorbedingung für die tatsächlichen menschengemachten Revolutionen in Ägypten und Libyen dienen sollte: denn nur in einem virtuellen Raum wie dem Internet konnten geheime Nachrichten politischer wie amouröser Natur ihre Adressaten finden und ihr Geheimnis bewahren.

Der philosophierende Kaffehausbesucher Majed wird schließlich von einem seiner Mitarbeiter unsanft aus seinen trüben Tagträumereien gerissen:

Herr, Majed, du bist ja noch immer hier! Der Busfahrer wartet auf dich!“
Wie spät ist es?“
17 Uhr.“
Ich schaue auf die Kuckucksuhr und auf meine Armbanduhr. Beide zeigen 17 Uhr. „Was, bin ich seit Stunden hier? Machst du Witze? Ich habe nur eine Tasse Tee getrunken!“ [...]
Ich rufe den Kellner und verlange die Rechnung.
Drei Mal Wasserpfeife und sieben Gläser Tee. Das macht...“
Moment, sieben?“ Für jeden Kuckucksruf ein Glas? Ich wundere mich.

Ähnlich ergeht es uns Lesern: die Zeit des Lesens verstreicht voller Wunder...

„Brief in die Auberginenrepublik“, erschienen bei Edition Nautilus, 155 Seiten, € 18,-

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