Jerusalem

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Donnerstag, 7. März 2013

„Tag der Vergeltung“ von Liad Shoham

Obwohl die düster-realistische Atmosphäre aus allgegenwärtiger öffentlicher Korruption und rücksichtslosem Machtstreben des organisierten Verbrechens auf den Straßen der israelischen Metropole Tel-Aviv in Liad Shohams erstem nun in Deutsche übersetzten Roman „Tag der Vergeltung“ deutliche Anklänge an so unbestrittene Ausnahmeerscheinungen des Thrillergenres wie Graham Greene, John le Carré oder Robert Littel liefert, in deren auch literarisch hochstehenden Kriminalromanen sich für gewöhnlich am Ende keiner der Beteiligten noch als moralischer Gewinner fühlen darf, gibt es trotz einer angesichts des vom Autor gewählten Sujets ähnlich begründet-pessimistischen Diagnose doch einen wesentlichen Unterschied:

Der Dauergast auf den israelischen Bestsellerlisten verwöhnt seine Leser in Anbetracht des bitteren Verlaufs der spannend-nervenzehrenden Handlung auf der Zielgeraden gänzlich unerwartet doch noch mit einem relativ umfassenden „Happy End“, dessen sich allerdings lediglich die Protagonisten als Individuen erfreuen dürfen, während die gesamtgesellschaftliche Perspektive angesichts der von Shoham herausgearbeiteten Problemstellungen im israelischen Justiz- und Polizeiapparat erwartungsgemäß finster bleiben muss.



Äußerst geschickt spielt der praktizierende Rechtsanwalt Shoham dabei mit der konventionellen Erwartungshaltung des Lesers – so etwa, als der durchaus schuldbewusste Verdächtige, dem die brutale Vergewaltigung in einem noblen Wohnviertel im Norden der Stadt zu Last gelegt wird, mit dem der Roman so spektakulär beginnt, unter dem Druck des mit allen psychologischen Kniffen, jedoch nicht ohne Missverständnisse geführten polizeilichen Verhörs kurz davor steht, innerlich zusammenzubrechen und die Tat zu gestehen:

Nevos Augen füllten sich mit Tränen. [...]
Schreiben Sie es auf, schreiben Sie auf, wie Sie Adi Regev vergewaltigt haben...“, sagte Eli Nachum und schob ihm das Papier zu.
Für einen Moment meinte Ziv, er habe nicht richtig gehört, vielleicht war die Müdigkeit daran schuld, dass er fantasierte. [...]
Nachum hatte die ganze Zeit über von einem Mädchen gesprochen, das vergewaltigt worden war. Er war einem Irrtum aufgesessen. Sie suchten einen Vergewaltiger. Einen Vergewaltiger!

Doch Ziv Nevos Freude über die offensichtlich unbegründete Beschuldigung währt nur kurz; ohnehin ist uns aus der literarischen Schilderung seiner Innensicht während der Vernehmung klar, dass der seit seiner Scheidung in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliche arbeitslose Großhandelskaufmann ohne Zweifel stattdessen ein anderes Verbrechen begangen haben muss.

Was ihm zum unerwarteten Verhängnis wird, ist zum einen die von der Polizeidirektion ausgegebene Erfolgsvorgabe, der sich der alternde, wegen seiner traditionellen Ermittlungsmethoden von seinen Vorgesetzten und Untergebenen gleichermaßen misstrauisch beäugte erzsympathische intuitive Schnüffler Eli Nachum ganz entgegen seiner Gewohnheit trotz der wenig überzeugenden Beweislage mit aller Macht zu beugen versucht und deshalb ein entscheidendendes Detail vorsätzlich manipuliert, um den vermeintlichen Gewalttäter dennoch hinter Gitter zu bringen.

Zum anderen hat sich Ziv, wie wir im weiteren Verlauf der Handlung erfahren müssen, aus massiven Geldsorgen mit dem organisierten Verbrechen eingelassen; da man befürchtet, der psychisch labile Ex-Offizier könne statt des ihm zur Last gelegten Verbrechens die tatsächlich von ihm im Auftrag der Mafia begangene minder schwere Straftat gestehen und bei der Gelegenheit zusätzliche Interna auspacken, wird er im Untersuchungsgefängnis brutal verprügelt, um ihm somit unmissverständlich nahezulegen, die Vergewaltigung zu gestehen, andernfalls werde man sich „um seinen fünfjährigen Sohn kümmern“.

Doch auch die überforderte Justiz ist nur allzu gerne bereit, mit dem gewieften Pflichtverteidiger einen faulen Kompromiss auszuhandeln, der eine baldige Freilassung des nun plötzlich geständigen Täters in Aussicht stellt. Als bald darauf eine weitere junge Frau nach dem selben Muster vergewaltigt wird und Nevo diesmal ganz offensichtlich nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, müssen die Staatsorgane den Fall erneut aufrollen.

Doch außer dem unterdessen vom Dienst suspendierten Eli Nachhum scheint niemand in der Lage zu sein, einen erfolgversprechenden Ansatz zur Lösung des Falles zu finden. Bei seiner fieberhaften Suche nach dem wahren Täter muss er sich ausgerechnet auf die Hilfe des ehemaligen Hauptverdächtigen Ziv Nevo sowie eines undurchsichtig-übermotivierten Lokalreporters verlassen.

Liad Shoham ist ein überraschend versierter, höchst einfallsreicher und origineller Thrillerautor, der durch seine psychologisch überzeugenden, im wechselnden Tonfall der einzelnen Protagonisten höchst glaubwürdigen Perspektivwechsel von einem Kapitel zum anderen eine geradezu atemberaubende Spannung aufbaut, der man sich als Leser zu keinem Zeitpunkt entziehen kann. Für den deutschsprachigen Markt muss Liad Shoham nicht zuletzt aufgrund des exotisch-reizvollen Schauplatzes als außergewöhnlich profilierte Neuentdeckung gelten, von der man in Zukunft unbedingt mehr lesen möchte.

Nahezu alle seiner handelnden Personen sind mit verständnisinniger Empathie gezeichnet, begehen jedoch ohne Ausnahme wenigstens einen vermeintlich geringfügigen Fehler, der für jeden von ihnen im Zusammenspiel der verschiedenen Kräfte völlig unkalkulierbare Auswirkungen zeitigt. Hier wird auch die Anklage gegen ein Justizsystem besonders deutlich, für das der Autor aufgrund des von ihm ausgeübten Berufs als Rechtsanwalt als ausgewiesener Kenner gelten muss und gegen dessen seelenlos-korrupte Technokratie das brutal-autoritäre System des organisierten Verbrechens beinahe familiär und transparent wirkt. Gleichzeitig gelingt es Liad Shoham aber auch auf wunderbare Art und Weise, einfach nur Leben abzubilden.

„Tag der Vergeltung“, aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch, erschienen bei DuMont, 351 Seiten, € 18,99

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