Jerusalem

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Montag, 3. Dezember 2012

Chanukka-Geld, Teil 3 – Nikos Kavvadias


Gegen Ende des Jahres, wenn die Nächte immer länger werden und das allgegenwärtige Dunkel uns zu bedrücken beginnt, feiern mit Judentum, Christentum und Hinduismus drei große Weltreligionen ihre traditionellen Lichterfeste. Chanukka, Weihnachten und Diwali versetzen uns nicht nur als Mitglieder unserer sozialer Gemeinschaften in erwartungsvolle Geschäftigkeit, sondern auch als Konsumenten. Manch einer mag insgeheim sogar auf die verheißene spirituelle Erleuchtung hoffen. Das antike Chanukka-Wunder im Jerusalemer Tempel ließ das ewige Licht sieben Tage länger brennen als die übrig gebliebene kümmerliche Ration geweihten Öls erhoffen ließ. Aus der Vielzahl an Buch-Neuerscherscheinungen des zurückliegenden Jahres, habe ich analog zu diesem Wunder sieben Bücher des Jahres ausgewählt, deren inneres Licht im Geiste des Lesers gleichermaßen lang zu leuchten vermag. Bücher sind immer ein Geschenk – und ein Lichtwunder, das man sich mühelos selbst zünden kann.


„Die Schiffswache“ von Nikos Kavvadias

„Erwachsene weinen nicht. Trotzdem ist da ein Knoten, der aufsteigt, oder eine Schlinge, die einen würgt. Genau das ist es, was Menschen an Land dazu treibt, Bücher zu schreiben, und Seeleute schnitzen Segelschiffe, takeln sie auf und stecken sie in Flaschen, oder sie lassen sich ihren Körper tätowieren. Wenn die Bücher gut, die Segelschiffe sauber gearbeitet und die Tätowierungen schön bunt sind, dann...“

Ja, dann tragen sie die ganze Welt in sich, spiegeln das menschliche Leben und Streben in all seinen Facetten, unterstützen uns darin, Sinn in unserem Sein zu erkennen und ein ums andere Mal auch unser ebenso notwendiges wie unvermeidliches Scheitern anzuerkennen und in ein tieferes melancholisch-vorurteilsfreies Begreifen zu verwandeln, das uns innerlich so sehr zu stärken vermöchte, dass wir meinen, jeden möglicherweise noch auf uns zukommenden Schmerz ertragen zu können.

Es ist ein höchst merkwürdiges Phänomen, dass manche der wichtigsten, prägendsten und tiefste Wahrheiten aussprechenden Werke der Literatur schon bald, nachdem sie erstmals erklungen sind, wieder in der Versenkung verschwinden, noch bevor sie ihr verdientes Publikum gewonnen haben, so als wäre die Zeit für universelle Wahrheiten noch nicht reif oder als wollten diese Wahrheiten nicht gehört werden. Damit der einzige Roman des in seiner Heimat Griechenland bis heute verehrten und von vielen seiner Landsleute auswendig zitierbaren Lyrikers Nikos Kavvadias (1910-1975) im Jahr 2001 überhaupt erstmals in deutscher Sprache erscheinen konnte – fünfundzwanzig Jahre nach dessen Tod an Land, was den leidenschaftlichen Seemann, der beinahe sein ganzes Leben als Funker auf verschiedenen Überseeschiffen verbracht hat, sehr geschmerzt haben muss – war die erste und wichtigste Aufgabe der Herausgeber die lückenlose Klärung der sich als völlig unübersichtlich darstellenden Autorenrechte. 



Und obwohl der zunächst unter dem Titel „Die Wache“ erscheinende Roman von der Kritik ausnahmslos gefeiert wurde, waren die Verkäufe offenbar so mäßig, dass die auf dem heutigen Buchmarkt naturgemäß der Originalausgabe in absehbarer Zeit immer folgende und somit unvermeidlich scheinende Taschenbuchausgabe nie realisiert wurde. Umso schöner und verdienstvoller, dass der kleine Schweizer Unionsverlag sich nun die Taschenbuchrechte dieses kleinen Meisterwerkes für seine erfolgreiche Reihe „Meeresromane“ gesichert hat und somit dem vielleicht ehrlichsten, bewegendsten und wahrhaftigsten Seefahrerroman aller Zeiten eine neue Chance bietet, mit seinem unermesslichen Potenzial als Generationen-Lieblingsbuch auch hierzulande endlich sein verdientes, begeistertes Publikum zu finden.

Ende der 1940er Jahre durchpflügt ein altes griechisches Frachtschiff das südchinesische Meer, an Bord Waffen für die nach der Macht strebenden chinesischen Kommunisten. Während der Wache an Deck unterhalten sich die griechischen Matrosen über ihr Leben, ihre Träume, ihre Taten und Untaten. Nikos Kavvadias’ Buch ist eine große wunderbare Elegie in der Sprache eines vollendeten Poeten über das harte Leben auf See, Einsamkeit und Entbehrungen, Geheimnisse und Verbrechen – und nicht zuletzt über die unerfüllte Liebe zu schönen Frauen: Ehefrauen, Geliebten, Müttern, Schwestern und Huren. Als „Die Schiffswache“ erstmals in französischer Sprache erschien, riet ein begeisterter Kritiker den Lesern seiner Zeitung: „Das Buch lässt nicht los. Keinen einzigen Moment, das garantiere ich. Eine Seltenheit. Auf einmal zu verschlingen. Und in mehreren Exemplaren zu kaufen. Für Ihre Freunde.“ Dem ist nichts hinzuzufügen – „Die Schiffswache“ ist ein Meisterwerk der Weltliteratur, dem man gar nicht genug Leser wünschen kann.

„Die Schiffswache“, aus dem Griechischen von Maria Petersen, erschienen im Unionsverlag, 275 Seiten, € 12,95

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