Jerusalem

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Sonntag, 10. April 2016

Echolot

In der vergangenen Woche wurde in Berlin der Preis der deutschen Musikindustrie verliehen, der „Echo“. Die bewusste Verwendung eines grammatikalisch falschen Artikels soll vermutlich davon ablenken, dass es sich bei diesem symbolischen Echo nicht etwa um eine qualitative Auszeichnung handelt, mit dem besondere künstlerische Leistungen prämiert werden, sondern um das ganz real-messbare Echo des Publikums, das sich in den aufgelaufenen banalen Verkaufszahlen des vergangenen Jahres niedergeschlagen hat: der „Echo-Award“ ist die Feier bereits erzielter Umsätze, eine zweite ideelle Belohnung für den bereits erzielten materiellen Lohn, die der Künstler im besten Fall schon in Form einer „goldenen Schallplatte“ erhalten hat. Nun ist zunächst nichts daran auszusetzen, wenn eine Branche sich und ihre Erfolge publikumswirksam feiert, es gibt kaum einen Wirtschaftszweig, der nicht versucht, sich einen vergleichbaren Rahmen zu schaffen, um sich und das von ihm Geleistete für seine Begriffe auf angemessene Art und Weise zu präsentieren. Für besonders herausragende künstlerische Leistungen gibt es ja den renommierten „Preis der deutschen Schallplattenkritik“.



Dennoch scheint der „Echo-Award“ als kommerzielle Auszeichnung durchaus symptomatisch für den Zustand unserer Gesellschaft sowie unseres politischen und wirtschaftlichen Zusammenlebens. Ein bereits honorierter Erfolg ist nicht nur der größtmögliche gemeinsame Nenner, man muss sich weder inhaltliche Gedanken machen noch nennenswerten Widerspruch fürchten, da man sich durch das objektiv verifizierte, scheinbar „demokratische“ Ergebnis bereits angemessen abgesichert und bestätigt fühlt. Für das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist die Übertragung der „Echo-Gala“ somit ein idealer Quotenbringer: die auszuzeichnenden Künstler sind ja bereits die erfolgreichsten – wer sollte die nicht sehen wollen! Angesichts des Wissens um die allgemein bekannte Tatsache, dass der „Echo“ ein Kommerzpreis ist, offenbart das nun öffentlich zur Schau gestellte Befremden und die wachsende Ablehnung darüber, dass nach einer längeren irritierenden Vorgeschichte nun eine deutschsprachige Band aus Südtirol, die im begründeten Verdacht rechtsradikalen Gedankenguts steht, einen Preis in der Kategorie „Rock/Alternative“ zuerkannt bekommen hat, ein fundamentales Dilemma: Es gibt zahlreiche Hinweise, dass sich rechtes und völkisches Gedankengut unwidersprochen im gesellschaftlichen Mainstream breitmacht, aber man weiß nicht, wie man darauf reagieren soll.

Objektiv ist es richtig, dass dieser Band der Preis zuerkannt wurde: das von ihr (trotz diverser offizieller Distanzierungen) vertretende Weltbild ist ja nicht Inhalt der Vergabekriterien, sondern allein ihr kommerzieller Erfolg. Diskussionswürdiger ist da schon, dass die ARD in liebedienerischer Haltungslosigkeit die Preisvergabe an die Band in vorauseilendem Gehorsam bewusst so terminiert hat, dass diese ihr Konzert am selben Abend nicht etwa absagen oder verschieben musste und ihre Mitglieder in der sorgfältig vorbereiteten und vom Blatt abgelesenen „Dankesrede“ (die in Wirklichkeit ein einiger Vorwurf war) ihre verlogene Außenseiterposition als unverstandene aufrechte Idealisten präsentieren und der inhaltlichen Ablehnung des Preises Ausdruck verleihen konnten. Von den anderen Prämierten wurde keinerlei nennenswerte Ablehnung artikuliert – wozu auch, es hätte ja ihre eigene Auszeichnungswürdigkeit in Frage gestellt: wo kommen wir denn da hin, wenn wir jetzt plötzlich qualitative oder gar moralische Kriterien aufstellen würden, man möchte sich gar nicht ausmalen, wer dann alles ohne Preis nach Hause gehen müsste! Man darf also ohne Einschränkung behaupten, dass dieser Auftritt die Vergabepraxis des „Echo-Awards“ ad absurdum geführt hat. Vor allem aber stellt er auf drängende Art und Weise unseren gewohnten Umgang mit radikalen Positionen in Frage.


"Lügenpresse"/Foto: Opposition24.de


Nicht wenige Menschen in unserer Gesellschaft fühlen sich offensichtlich wohl in der theatralisch zur Schau gestellten, durch und durch passiven Position des unverstandenen Verlierers, der immer nur einen drauf kriegt, sei es vom Staat, vom Arbeitgeber, vom Partner oder gar von den ihrem Eindruck nach ungefiltert ins Land strömenden ausländischen Konkurrenten ums verdiente Lebensglück. Gar nicht erst zu reden von der allgegenwärtigen „Lügenpresse“. Ist eine rechtsradikale Position weniger problematisch, wenn sie zunehmend Verbreitung findet oder sogar zu einer Mehrheitsposition wird? Ist ein etwaiger allmählicher Wandel zur Mehrheitsposition der Zeitpunkt, an dem man aus falsch verstandener Beugung unter das Prinzip der Demokratie schweigen muss? Der Erfolg der von der kaufmännischen Jury prämierten Band ist ein wichtiger Indikator für das unbestimmte Lebensgefühl einer nicht kleinen Gruppe innerhalb unserer Gesellschaft. Diese Tatsache zu verdrängen, wäre ausgesprochen gefährlich, ein Verschweigen des Ganzen oder Lamentieren darüber, lächerlich. Angesichts wachsender Akzeptanz radikaler Positionen ist es wichtig, auf breiter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Basis nachhaltige positive Konzepte zu erarbeiten, die eine attraktivere Alternative zum Phlegma des Verlierers anbieten und zum selbstbestimmten Handeln ermutigen.

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