Wie schön und bequem für
die AfD und ihre Anhängerschaft, dass sie nun im bewusst
unscharf definierten Islam (als Religion? als Philosophie? als
Weltverschwörung?) ganz offiziell ein kongeniales Feindbild
erschaffen hat, über das sie sich auf unverwechselbare Art und Weise
wirkungsvoll gegen politische Gegner und Mitbewerber abgrenzen zu
können glaubt. Es ist seit jeher eines der hervorstechenden
Merkmale totalitaristischer politischer Bewegungen, sich nicht etwa
über positive Zielsetzungen zu definieren, sondern in der radikalen
Ablehnung eines irrationalen Fremden, für die es nicht nur keinerlei
objektive Vernunftgründe gibt, sondern das sie sogar selbst
erschaffen hat. Die Diskreditierung eines fremden Prinzips, in diesem
Fall eines nicht näher erläuterten Islam, ist immer willkürlich
und dient im Wesentlichen der Bündelung von negativer Zustimmung in
Form von Wählerstimmen oder im schlimmsten Falle sogar einer
allgemeinen unartikulierten Stimmung innerhalb der Bevölkerung.
Für diese negative
Abgrenzung von einem scheinbar allumfassenden bösartigen Islam, den
es in der von der AfD postulierten Form gar nicht gibt, findet sie in
der Bundesrepublik Deutschland allerdings ideale Grundbedingungen
vor: einem scheinbar modernen und weltlichen Staat, in dem seit über
vierzig Jahren eine politische Partei zum maßgeblichen politischen
Establishment zählt, die sich ganz selbstverständlich als
„christlich“ bezeichnet, obwohl ihr namentlich zur Schau
gestelltes Christentum eher ein Bekenntnis zu den humanistischen
Grundwerten der jüdisch-christlichen europäischen Tradition
darstellt als eine strukturelle konfessionelle Bindung. (Nach dem
Zweiten Weltkrieg war das „Christliche“ die einzige noch halbwegs
glaubwürdige wertkonservative Abgrenzungsmöglichkeit zu linken
Weltanschauungen.) Einem Land, in dem auch heute noch die meisten
staatlich vorgeschriebenen gesetzlichen Feiertage einen eindeutigen
christlichen Hintergrund besitzen und sogar die meisten Schulferien
in einem unverwechselbaren religiösen Zusammenhang stehen, obwohl
die damit verbundenen Anlässe wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten
heute meistenteils lediglich folkloristischen Charakter haben.
Zu einem unzeitgemäßen
unterschwelligen Bekenntnis zu dezidiert „christlichen Werten“,
die in der durchschnittlichen Bevölkerung zumindest in religiöser
Hinsicht jeder Grundlage entbehren, kommt die problematische
Behauptung aller monotheistischer Religionen, im Besitz einer
allgemeingültigen Wahrheit zu sein. Dieser radikal vermessene, im
Grunde unversöhnliche (und in politischer Konsequenz letztlich
kriegerische) Anspruch ist im Judentum und im Christentum genauso
deutlich nachweisbar wie im Islam, auch wenn er bei diesen in der
heutigen Wahrnehmung weitaus weniger ausgeprägt ist als bei jenem –
ein Studium der religiösen Quellen widerlegt diesen Eindruck
allerdings ebenso nachhaltig wie ein Blick in die Geschichte.
Unbewusst prägt das problematische Prinzip eines einzigen wahren
Gottes uns und unsere Kultur bis heute auf kaum abzuschätzende
zerstörerische Art und Weise. Der in dieser Hinsicht ebenso
folgerichtige wie hilflose Rückgriff der AfD auf überkommene
Begriff wie Nation und Religion beweist dies nur zu deutlich. Ein
Staat, der seine Bürger auch in ihrer Verschiedenheit ernst nimmt,
muss vollkommen säkular oder laizistisch sein. Er darf eine Religion
nicht ausgrenzen oder ignorieren, sondern muss sie voll und ganz
integrieren wollen.
Mit einigem guten Willen
mag man der AfD vielleicht unterstellen, dass sie einen warnenden
Zusammenhang herstellen will zwischen Menschen, die aus totalitären
Staaten kommend in unserer Gesellschaft Aufnahme finden, aber unsere
Werte aufgrund ihrer kulturellen Prägung möglicherweise nicht
teilen oder ihnen sogar feindlich gegenüberstehen. (Dieser Befund
trifft übrigens nicht nur auf Menschen aus arabischen Staaten zu.)
Aus diesem Konflikt können sich in der Tat Probleme ergeben, die wir
keinesfalls unterschätzen sollten. Auch wenn wir davon ausgehen
sollten, dass die meisten Flüchtlinge zu uns kommen, weil sie hier
in umfassender persönlicher Freiheit leben können (einschließlich
freier Religionsausübung), besteht durchaus die Möglichkeit, dass
auch Menschen „nur“ aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Aber
was wäre daran so schlimm? Eine zukünftige Mitarbeit würde ja auch
eine wirtschaftliche Stärkung unserer Gesellschaft bedeuten. Schon
heute gibt es ein großes Überangebot freier Arbeitsplätze, die
kein arbeitsloser „christlicher“ Deutscher aus freiem Willen
anzunehmen bereit wäre.
Ohne Zweifel ist jede
politische Bewegung abzulehnen, die eine Religion (egal welche) mit
universellem Anspruch ins Zentrum ihres politischen Handelns stellt.
Eine Religion (egal welche) sollte für das politische Handeln in
einem funktionierenden Gemeinwesen keinerlei Bedeutung haben, es sei
denn, sie hätte entscheidende Anstöße für eine weitere
Verbesserung des allgemeinen Zusammenlebens beizutragen. Die
anachronistische Vorstellung, ein bestimmtes Land gehöre einem
bestimmten Volk, das sich auf bestimmte Art und Weise gewissen
übergeordneten Verhaltensregeln fügt, entspricht natürlich der
biblischen Vorstellung eines göttlichen Auserwähltseins. Ein
modernes Sozialwesen aber muss ständiger Veränderung unterworfen
sein, da es sonst mittelfristig nicht überlebensfähig ist. Das
heißt aber auch in letzter Konsequenz: wir können unsere
Gesellschaft selbst gestalten. Die instrumentalisierte
Diskriminierung des Islam und seiner religiösen Symbole auf
Grundlage angeblicher christlicher Traditionen ist ebenso falsch wie
unglaubwürdig und anachronistisch. Wir sollten nicht zulassen, dass
die AfD „die Moslems“ zu „den Juden“ von heute macht.
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