Jerusalem

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Montag, 18. April 2016

Die Erfindung eines Feindbilds

Wie schön und bequem für die AfD und ihre Anhängerschaft, dass sie nun im bewusst  unscharf definierten Islam (als Religion? als Philosophie? als Weltverschwörung?) ganz offiziell ein kongeniales Feindbild erschaffen hat, über das sie sich auf unverwechselbare Art und Weise wirkungsvoll gegen politische Gegner und Mitbewerber abgrenzen zu können glaubt. Es ist seit jeher eines der hervorstechenden Merkmale totalitaristischer politischer Bewegungen, sich nicht etwa über positive Zielsetzungen zu definieren, sondern in der radikalen Ablehnung eines irrationalen Fremden, für die es nicht nur keinerlei objektive Vernunftgründe gibt, sondern das sie sogar selbst erschaffen hat. Die Diskreditierung eines fremden Prinzips, in diesem Fall eines nicht näher erläuterten Islam, ist immer willkürlich und dient im Wesentlichen der Bündelung von negativer Zustimmung in Form von Wählerstimmen oder im schlimmsten Falle sogar einer allgemeinen unartikulierten Stimmung innerhalb der Bevölkerung. 


Für diese negative Abgrenzung von einem scheinbar allumfassenden bösartigen Islam, den es in der von der AfD postulierten Form gar nicht gibt, findet sie in der Bundesrepublik Deutschland allerdings ideale Grundbedingungen vor: einem scheinbar modernen und weltlichen Staat, in dem seit über vierzig Jahren eine politische Partei zum maßgeblichen politischen Establishment zählt, die sich ganz selbstverständlich als „christlich“ bezeichnet, obwohl ihr namentlich zur Schau gestelltes Christentum eher ein Bekenntnis zu den humanistischen Grundwerten der jüdisch-christlichen europäischen Tradition darstellt als eine strukturelle konfessionelle Bindung. (Nach dem Zweiten Weltkrieg war das „Christliche“ die einzige noch halbwegs glaubwürdige wertkonservative Abgrenzungsmöglichkeit zu linken Weltanschauungen.) Einem Land, in dem auch heute noch die meisten staatlich vorgeschriebenen gesetzlichen Feiertage einen eindeutigen christlichen Hintergrund besitzen und sogar die meisten Schulferien in einem unverwechselbaren religiösen Zusammenhang stehen, obwohl die damit verbundenen Anlässe wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten heute meistenteils lediglich folkloristischen Charakter haben.

Zu einem unzeitgemäßen unterschwelligen Bekenntnis zu dezidiert „christlichen Werten“, die in der durchschnittlichen Bevölkerung zumindest in religiöser Hinsicht jeder Grundlage entbehren, kommt die problematische Behauptung aller monotheistischer Religionen, im Besitz einer allgemeingültigen Wahrheit zu sein. Dieser radikal vermessene, im Grunde unversöhnliche (und in politischer Konsequenz letztlich kriegerische) Anspruch ist im Judentum und im Christentum genauso deutlich nachweisbar wie im Islam, auch wenn er bei diesen in der heutigen Wahrnehmung weitaus weniger ausgeprägt ist als bei jenem – ein Studium der religiösen Quellen widerlegt diesen Eindruck allerdings ebenso nachhaltig wie ein Blick in die Geschichte. Unbewusst prägt das problematische Prinzip eines einzigen wahren Gottes uns und unsere Kultur bis heute auf kaum abzuschätzende zerstörerische Art und Weise. Der in dieser Hinsicht ebenso folgerichtige wie hilflose Rückgriff der AfD auf überkommene Begriff wie Nation und Religion beweist dies nur zu deutlich. Ein Staat, der seine Bürger auch in ihrer Verschiedenheit ernst nimmt, muss vollkommen säkular oder laizistisch sein. Er darf eine Religion nicht ausgrenzen oder ignorieren, sondern muss sie voll und ganz integrieren wollen.

Mit einigem guten Willen mag man der AfD vielleicht unterstellen, dass sie einen warnenden Zusammenhang herstellen will zwischen Menschen, die aus totalitären Staaten kommend in unserer Gesellschaft Aufnahme finden, aber unsere Werte aufgrund ihrer kulturellen Prägung möglicherweise nicht teilen oder ihnen sogar feindlich gegenüberstehen. (Dieser Befund trifft übrigens nicht nur auf Menschen aus arabischen Staaten zu.) Aus diesem Konflikt können sich in der Tat Probleme ergeben, die wir keinesfalls unterschätzen sollten. Auch wenn wir davon ausgehen sollten, dass die meisten Flüchtlinge zu uns kommen, weil sie hier in umfassender persönlicher Freiheit leben können (einschließlich freier Religionsausübung), besteht durchaus die Möglichkeit, dass auch Menschen „nur“ aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Aber was wäre daran so schlimm? Eine zukünftige Mitarbeit würde ja auch eine wirtschaftliche Stärkung unserer Gesellschaft bedeuten. Schon heute gibt es ein großes Überangebot freier Arbeitsplätze, die kein arbeitsloser „christlicher“ Deutscher aus freiem Willen anzunehmen bereit wäre.


Ohne Zweifel ist jede politische Bewegung abzulehnen, die eine Religion (egal welche) mit universellem Anspruch ins Zentrum ihres politischen Handelns stellt. Eine Religion (egal welche) sollte für das politische Handeln in einem funktionierenden Gemeinwesen keinerlei Bedeutung haben, es sei denn, sie hätte entscheidende Anstöße für eine weitere Verbesserung des allgemeinen Zusammenlebens beizutragen. Die anachronistische Vorstellung, ein bestimmtes Land gehöre einem bestimmten Volk, das sich auf bestimmte Art und Weise gewissen übergeordneten Verhaltensregeln fügt, entspricht natürlich der biblischen Vorstellung eines göttlichen Auserwähltseins. Ein modernes Sozialwesen aber muss ständiger Veränderung unterworfen sein, da es sonst mittelfristig nicht überlebensfähig ist. Das heißt aber auch in letzter Konsequenz: wir können unsere Gesellschaft selbst gestalten. Die instrumentalisierte Diskriminierung des Islam und seiner religiösen Symbole auf Grundlage angeblicher christlicher Traditionen ist ebenso falsch wie unglaubwürdig und anachronistisch. Wir sollten nicht zulassen, dass die AfD „die Moslems“ zu „den Juden“ von heute macht.

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