Jerusalem

Jerusalem

Montag, 7. Dezember 2015

Einfalt statt Vielfalt

Zum nachlassenden Leserinteresse an hebräischer Literatur in deutscher Übersetzung 

 

Nachdem israelische Literatur im deutschen Sprachraum über einen bemerkenswerten Zeitraum von fast einem Vierteljahrhundert aufgrund zahlreicher Übersetzungen aus dem Hebräischen mit Autoren wie Amos Oz, David Grossman oder Zeruya Shalev nicht nur in den Medien ausgesprochen präsent war, sondern vom Publikum auch viel gekauft (und vermutlich gelesen) wurde, haben die deutschsprachigen Verlage nun schon seit Jahren ein stetig nachlassendes Interesse an zeitgenössischer Literatur aus Israel zu beklagen. Die mittlerweile weit hinter den Erwartungen der Verlage zurückbleibende Nachfrage der Leserschaft scheint sich dabei allerdings nicht mit dem anhaltenden wohlwollenden Interesse der deutschen Literaturkritik zu decken: auch heute noch finden wir ebenso in den Printmedien wie in Funk und Fernsehen immer noch zahlreiche leidenschaftliche und zum Teil sehr fundierte Beiträge über israelische Literatur. Wie kommt es also, dass die Verlage die kostenlose Publicity der Medien augenscheinlich nicht mehr unmittelbar in zählbaren Buchumsatz verwandeln können?

Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass die Rezeption von Literatur in Deutschland allgemein demokratischer geworden ist. Während sich die klassischen Medien unter dem Kostendruck dramatisch schrumpfender Umsätze und der ungeliebten Maßgabe ihrer Finanzabteilungen zunehmend auf allgemein anerkannte, schematisch vordefinierte Zielgruppen zurückziehen und mit dem allgemeinen Anspruch auch ihre Attraktivität immer weiter sinkt, nimmt die Nutzung unabhängiger, zum Teil hochgradig spezialisierter Blogs und weiterer kostenloser Angebote im Internet weiter zu. Die klassische Literaturkritik mit ihren omnipräsenten Protagonisten, die sich als allgemein verbindliches ästhetisches Weltgericht begriffen, gibt es heute nicht mehr. Verzweifelte Versuche des Fernsehens, ein anachronistisches Sendeformat wie „Das literarische Quartett“ wiederzubeleben, das schon zu Lebzeiten seiner bekanntesten Protagonisten vor allem von deren subjektivem Unterhaltungswert lebte, (ihrem kaum gebremsten Willen auch, ein literarisches Werk oder einen Autor zu ihren eigenen Gunsten bewusst zu vernichten oder zu überhöhen,) müssen deshalb zwangsläufig scheitern, solange die Fernsehsender zu Recht davor zurückschrecken, die Literatur wieder zum dankbaren Objekt arroganter Selbstdarstellung zu degradieren.


Amos Oz mit seiner Übersetzerin Mirjam Pressler/Foto: Wikimedia


Die Zuschauer indessen scheinen nach wie vor jene plakativen polarisierenden Ansätze zu honorieren, die der Literatur naturgemäß niemals gerecht zu werden vermögen: anders lässt es sich kaum erklären, warum eine Sendung, in der der wohlgenährte Rezensent Bücher über eine Rutsche spektakulär in den Müll befördert, heute immerhin noch das erfolgreichste Format unter zahlreichen nach dem üblichen System der Einschaltquote kaum messbaren Beiträgen ist. Ein subjektives Urteil von Marcel Reich-Ranicki wurde noch vor zwanzig Jahren von vielen Zuschauern als allgemein verbindlich hingenommen und löste in nicht wenigen von ihnen einen direkten Kaufimpuls aus. Heute versuchen sich die meisten Literaturkritiker einem Buch auf sehr viel objektivere und sensiblere Art und Weise zu nähern, indem sie das jeweilige Werk in viel stärkerem Maße als individuelle künstlerische Ausdrucksform seines Schöpfers beurteilen und auch die Intentionen des Autors und den Entstehungsprozess des Buches in seinem Gesamtzusammenhang sowie seine mögliche Relevanz für den gesellschaftlichen Diskurs zu berücksichtigen versuchen. Das mag auf den ersten Blick weniger unterhaltsam scheinen, ist aber für den Literaturliebhaber ohne Zweifel eine kapitale Errungenschaft, selbst wenn man sich vor Augen führt, dass Literaturrezeption immer auch einem starken subjektiven Impuls zugrunde liegen muss.

Doch zurück zur israelischen Literatur in deutscher Übersetzung. Israelische Literatur muss, sofern sie die innerhalb der israelischen Gesellschaft ablaufenden Prozesse einigermaßen angemessen widerzuspiegeln vermag, den deutschen Leser aus zwei wichtigen Gründen auf ganz unmittelbare und deutlich nachvollziehbare Art und Weise bewegen. Zum einen wirkt sich bekanntermaßen die Katastrophe der Schoah als tragische Klimax einer langen gemeinsamen Geschichte sowohl in psychologischer als auch in soziologischer Hinsicht deutlich messbar auf alle seither lebenden Generationen in Israel wie in Deutschland aus. Als kleines, besonders prägnantes Beispiel sei nur das Schweigen der Täter-/Opfer-Generation genannt, das hier wie dort gleichermaßen wirksam war und ist. Zum anderen wird in Israel bereits seit Jahrzehnten ein Konflikt ausgetragen, der sich direkt aus dem fundamentalen Überlegenheitsgefühl des europäischen Kolonialismus gegenüber einer vermeintlich unterentwickelten Umwelt speist, dessen nahezu ungelöst ins 21. Jahrhunderte übernommene Auswirkungen wir aber hierzulande in ihrer ganzen Tragweite möglicherweise erst jetzt zu verstehen (und hoffentlich anzunehmen) beginnen scheinen, da der aus ihnen entstandene Terrorismus seine Herkunftsregion verlässt und wir auch hier mit Selbstmordattentaten konfrontiert sind.


Büchertisch mit Werken von Lizzie Doron/Foto: Stefan Röhl

Dass israelische Literatur überhaupt über einen so langen Zeitraum auf dem deutschen Buchmarkt so weit verbreitet war, hatte aber noch einen weiteren gewichtigen Grund, den man mit einiger Berechtigung als wichtigste Vorbedingung für diesen langanhaltenden Erfolg diagnostizieren muss: Israel unterhält zur Förderung seiner Literatur in Gestalt des sogenannten Institute for the Translation of Hebrew Literature ein vergleichsweise hoch entwickeltes staatliches Förderungssystem. Um die Übersetzung israelischer Schriftsteller in andere Sprachen wirksam zu unterstützen wird diese in aller Regel zunächst vom israelischen Staat subventioniert. Erst nach erfolgter Finanzierung der Übersetzung (und nicht wie sonst üblich davor) wird die Lizenz an einen möglichen Interessenten im Ausland verkauft, so dass der größte übliche Kostenfaktor für einen Verlag und das bedeutendste verlegerische Wagnis zunächst einmal ausgesetzt werden. Was nun auf den ersten Blick wie ein absoluter Glücksfall für die israelische Literatur erscheint, müssen wir auf lange Sicht jedoch als möglicherweise entscheidendes Hemmnis für eine wirklich anhaltende realistische Rezeption israelischer Literatur im Ausland betrachten, denn die politisch motivierte Vergabepraxis der Fördermittel hat sich über die Zeit als durchaus tendenziös im Sinne einer inhaltlichen Vorzensur erwiesen.

Wer in den letzten fünfundzwanzig Jahren also israelische Literatur gelesen hat, muss sich der Tatsache bewusst sein, dass er dies unwissentlich (und vermutlich ohne es zu wollen) auch auf Kosten einer politisch unabhängigen Literatur getan hat, die in Israel sehr wohl gelesen und weithin diskutiert wird, aber sich nach offiziellem politischen Willen offenbar nicht auf das Israelbild von Außen auswirken soll. Nun ist die israelische Literatur ohne Zweifel reich genug, um den skizzierten Mangel über einen gewissen Zeitraum zu überbrücken, zumal allgemeine literarische Themenkreise, die wesentliche Kernaussagen des Zionismus nicht weiter in Frage stellen, sowie eine hoch entwickelte Literaturlandschaft, die sich mit den Nachwirkungen der Schoah befasst, bereits ein dankbares Spektrum abdecken, das dem interessierten Leser in Deutschland, Österreich oder der Schweiz viel über die israelische Lebenswirklichkeit sowie Unterschiede zu und Gemeinsamkeiten mit seiner eigenen aufzuzeigen vermag. Jeder erfahrener Leser israelischer Literatur wird sich jedoch auf lange Sicht mindestens einmal die Frage gestellt haben, warum er jene andere Lebenswirklichkeit im Jüdischen Staat, wie sie uns tagtäglich in den Fernsehnachrichten begegnet, in den Werken, die ihm in deutscher Übersetzung angeboten werden, so gut wie nicht widergespiegelt findet.



Eshkol Nevo, Arne Schneider, Arye Sharuz Shalicar/Foto: Stefan Röhl

Wir sehen uns also seit Jahrzehnten mit der außergewöhnlichen, nicht wenig absurden Situation konfrontiert, dass der deutschsprachige Leser gerne mittels unabhängiger Literatur etwas über die Befindlichkeiten Israels erfahren möchte, aber über einen vergleichsweise langen Zeitraum vom Institute for the Translation of Hebrew Literature lediglich ein oberflächliches zionistisches Standardprogramm angeboten bekommen hat, das sein berechtigtes Interesse an politisch unabhängigen literarischen Sichtweisen auf mittelfristige Sicht nicht zu befriedigen vermochte. Dieses beklagenswerte Dilemma vermag die bestehende Praxis staatlich subventionierter Übersetzungen nicht aufzulösen. Wir müssen im Gegenteil davon ausgehen, dass im bewusst aufrecht erhaltenen Schatten staatlicher israelischer Literaturförderung eine Fülle guter, aufschlussreicher, zum Teil subversiver Literatur schlummert, die unter den gegebenen Umständen für den deutschsprachigen Leser bis auf wenige Ausnahmen vermutlich niemals gehoben werden wird.

Die deutschsprachigen Verlage haben diese literaturferne Praxis in Kauf genommen und den Leser auf diese Weise derart unterfordert, dass sein Interesse an israelischer Literatur zwangsläufig erlahmen musste, weil er unter diesem unvollständig-parteiischen Eindruck fälschlicherweise glauben muss, sie habe ihm nichts zu bieten. Leider machen die Medien und das hiesige Kulturestablishment unwissentlich gemeinsame Sache mit dem israelischen Literaturförderungssystem: so werden Werke von mediokren israelischen Autoren mit tadellosem zionistischen Leumund in Unkenntnis ihrer nicht übersetzten Kollegen regelmäßig als bedeutende Schriftsteller gepriesen und wieder andere, die aufgrund ihrer Aussagen auch für den nicht allzu kritischen Betrachter leicht dem linkskonservativen zionistischen Spektrum zuzuordnen sind, gelten vollkommen zu Unrecht als Aushängeschilder der israelischen Friedensbewegung. Das nachlassende Interesse deutschsprachiger Leser an israelischer Literatur ist angesichts der oben dargelegten Gründe also alles andere als verwunderlich, sondern muss als geradezu zwangsläufiger Prozess enttäuschter Erwartungen betrachtet werden. Dass diese Entwicklung zu Unrecht auch aktuelle Werke betrifft, die man schon allein aus objektiven literarischen Gründen als Bereicherung für den deutschen Buchmarkt beurteilen muss, ist ein unangenehmer Nebeneffekt, den die betroffenen Verlage zumindest vorübergehend hinnehmen müssen. 


Israelisches Literaturmagazin "Biglal"

Das scheinbar nachlassende Interesse der allgemeinen Leserschaft an israelischer Literatur sollte Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz jedoch nicht dazu bewegen, weniger Übersetzungen aus dem Hebräischen zu veröffentlichen, sondern allenfalls besser zu prüfen zu versuchen, was das jeweilige herauszugebende Werk dem potentiellen Leser zu sagen vermag, ohne dabei auf das erstbeste Angebot des Institute for the Translation of Hebrew Literature hereinfallen zu müssen – schließlich wird im Umkehrschluss ein israelischer Leser ebenfalls wenig daran interessiert sein, die Lieblingsautoren von Angela Merkel oder Sigmar Gabriel in hebräischer Übersetzung zu lesen. Letztlich kann es für deutschsprachige Verlage in der Frage israelischer Literatur jenseits naheliegender wirtschaftlicher Erwägungen ohnehin nur eine einzige Maßgabe geben, die überdies auch für die Literaturen aller anderen Sprachen zur Anwendung kommt: die Erschließung guter Literatur ist immer ein Wagnis, für dessen Gelingen es keinerlei Garantie geben kann. Gerade das macht die Herausgeberschaft auf einem offenen Markt so spannend – letztlich auch für den Leser.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.