Zum nachlassenden Leserinteresse an hebräischer Literatur in deutscher Übersetzung
Nachdem israelische
Literatur im deutschen Sprachraum über einen bemerkenswerten
Zeitraum von fast einem Vierteljahrhundert aufgrund zahlreicher
Übersetzungen aus dem Hebräischen mit Autoren wie Amos Oz, David
Grossman oder Zeruya Shalev nicht nur in den Medien ausgesprochen
präsent war, sondern vom Publikum auch viel gekauft (und vermutlich
gelesen) wurde, haben die deutschsprachigen Verlage nun schon seit
Jahren ein stetig nachlassendes Interesse an zeitgenössischer
Literatur aus Israel zu beklagen. Die mittlerweile weit hinter den
Erwartungen der Verlage zurückbleibende Nachfrage der Leserschaft
scheint sich dabei allerdings nicht mit dem anhaltenden wohlwollenden
Interesse der deutschen Literaturkritik zu decken: auch heute noch
finden wir ebenso in den Printmedien wie in Funk und Fernsehen immer
noch zahlreiche leidenschaftliche und zum Teil sehr fundierte
Beiträge über israelische Literatur. Wie kommt es also, dass die
Verlage die kostenlose Publicity der Medien augenscheinlich nicht
mehr unmittelbar in zählbaren Buchumsatz verwandeln können?
Hierzu ist zunächst zu
bemerken, dass die Rezeption von Literatur in Deutschland allgemein
demokratischer geworden ist. Während sich die klassischen Medien
unter dem Kostendruck dramatisch schrumpfender Umsätze und der
ungeliebten Maßgabe ihrer Finanzabteilungen zunehmend auf allgemein
anerkannte, schematisch vordefinierte Zielgruppen zurückziehen und
mit dem allgemeinen Anspruch auch ihre Attraktivität immer weiter
sinkt, nimmt die Nutzung unabhängiger, zum Teil hochgradig
spezialisierter Blogs und weiterer kostenloser Angebote im Internet
weiter zu. Die klassische Literaturkritik mit ihren omnipräsenten
Protagonisten, die sich als allgemein verbindliches ästhetisches
Weltgericht begriffen, gibt es heute nicht mehr. Verzweifelte
Versuche des Fernsehens, ein anachronistisches Sendeformat wie „Das
literarische Quartett“ wiederzubeleben, das schon zu Lebzeiten
seiner bekanntesten Protagonisten vor allem von deren subjektivem
Unterhaltungswert lebte, (ihrem kaum gebremsten Willen auch, ein
literarisches Werk oder einen Autor zu ihren eigenen Gunsten bewusst
zu vernichten oder zu überhöhen,) müssen deshalb zwangsläufig
scheitern, solange die Fernsehsender zu Recht davor zurückschrecken,
die Literatur wieder zum dankbaren Objekt arroganter
Selbstdarstellung zu degradieren.
Amos Oz mit seiner Übersetzerin Mirjam Pressler/Foto: Wikimedia |
Die Zuschauer indessen
scheinen nach wie vor jene plakativen polarisierenden Ansätze zu
honorieren, die der Literatur naturgemäß niemals gerecht zu werden
vermögen: anders lässt es sich kaum erklären, warum eine Sendung,
in der der wohlgenährte Rezensent Bücher über eine Rutsche
spektakulär in den Müll befördert, heute immerhin noch das
erfolgreichste Format unter zahlreichen nach dem üblichen System der
Einschaltquote kaum messbaren Beiträgen ist. Ein subjektives Urteil
von Marcel Reich-Ranicki wurde noch vor zwanzig Jahren von vielen
Zuschauern als allgemein verbindlich hingenommen und löste in nicht
wenigen von ihnen einen direkten Kaufimpuls aus. Heute versuchen sich
die meisten Literaturkritiker einem Buch auf sehr viel objektivere
und sensiblere Art und Weise zu nähern, indem sie das jeweilige Werk
in viel stärkerem Maße als individuelle künstlerische
Ausdrucksform seines Schöpfers beurteilen und auch die Intentionen
des Autors und den Entstehungsprozess des Buches in seinem
Gesamtzusammenhang sowie seine mögliche Relevanz für den
gesellschaftlichen Diskurs zu berücksichtigen versuchen. Das mag auf
den ersten Blick weniger unterhaltsam scheinen, ist aber für den
Literaturliebhaber ohne Zweifel eine kapitale Errungenschaft, selbst
wenn man sich vor Augen führt, dass Literaturrezeption immer auch
einem starken subjektiven Impuls zugrunde liegen muss.
Doch zurück zur
israelischen Literatur in deutscher Übersetzung. Israelische
Literatur muss, sofern sie die innerhalb der israelischen
Gesellschaft ablaufenden Prozesse einigermaßen angemessen
widerzuspiegeln vermag, den deutschen Leser aus zwei wichtigen
Gründen auf ganz unmittelbare und deutlich nachvollziehbare Art und
Weise bewegen. Zum einen wirkt sich bekanntermaßen die Katastrophe
der Schoah als tragische Klimax einer langen gemeinsamen Geschichte
sowohl in psychologischer als auch in soziologischer Hinsicht
deutlich messbar auf alle seither lebenden Generationen in Israel wie
in Deutschland aus. Als kleines, besonders prägnantes Beispiel sei
nur das Schweigen der Täter-/Opfer-Generation genannt, das hier wie
dort gleichermaßen wirksam war und ist. Zum anderen wird in Israel
bereits seit Jahrzehnten ein Konflikt ausgetragen, der sich direkt
aus dem fundamentalen Überlegenheitsgefühl des europäischen
Kolonialismus gegenüber einer vermeintlich unterentwickelten Umwelt
speist, dessen nahezu ungelöst ins 21. Jahrhunderte übernommene
Auswirkungen wir aber hierzulande in ihrer ganzen Tragweite
möglicherweise erst jetzt zu verstehen (und hoffentlich anzunehmen)
beginnen scheinen, da der aus ihnen entstandene Terrorismus seine
Herkunftsregion verlässt und wir auch hier mit Selbstmordattentaten
konfrontiert sind.
Büchertisch mit Werken von Lizzie Doron/Foto: Stefan Röhl |
Dass israelische Literatur
überhaupt über einen so langen Zeitraum auf dem deutschen Buchmarkt
so weit verbreitet war, hatte aber noch einen weiteren gewichtigen
Grund, den man mit einiger Berechtigung als wichtigste Vorbedingung
für diesen langanhaltenden Erfolg diagnostizieren muss: Israel
unterhält zur Förderung seiner Literatur in Gestalt des sogenannten
Institute for the Translation of Hebrew Literature ein
vergleichsweise hoch entwickeltes staatliches Förderungssystem. Um
die Übersetzung israelischer Schriftsteller in andere Sprachen
wirksam zu unterstützen wird diese in aller Regel zunächst vom
israelischen Staat subventioniert. Erst nach erfolgter Finanzierung
der Übersetzung (und nicht wie sonst üblich davor) wird die Lizenz
an einen möglichen Interessenten im Ausland verkauft, so dass der
größte übliche Kostenfaktor für einen Verlag und das bedeutendste
verlegerische Wagnis zunächst einmal ausgesetzt werden. Was nun auf
den ersten Blick wie ein absoluter Glücksfall für die israelische
Literatur erscheint, müssen wir auf lange Sicht jedoch als
möglicherweise entscheidendes Hemmnis für eine wirklich anhaltende
realistische Rezeption israelischer Literatur im Ausland betrachten,
denn die politisch motivierte Vergabepraxis der Fördermittel hat
sich über die Zeit als durchaus tendenziös im Sinne einer
inhaltlichen Vorzensur erwiesen.
Wer in den letzten
fünfundzwanzig Jahren also israelische Literatur gelesen hat, muss
sich der Tatsache bewusst sein, dass er dies unwissentlich (und
vermutlich ohne es zu wollen) auch auf Kosten einer politisch
unabhängigen Literatur getan hat, die in Israel sehr wohl gelesen
und weithin diskutiert wird, aber sich nach offiziellem politischen
Willen offenbar nicht auf das Israelbild von Außen auswirken soll.
Nun ist die israelische Literatur ohne Zweifel reich genug, um den
skizzierten Mangel über einen gewissen Zeitraum zu überbrücken,
zumal allgemeine literarische Themenkreise, die wesentliche
Kernaussagen des Zionismus nicht weiter in Frage stellen, sowie eine
hoch entwickelte Literaturlandschaft, die sich mit den Nachwirkungen
der Schoah befasst, bereits ein dankbares Spektrum abdecken, das dem
interessierten Leser in Deutschland, Österreich oder der Schweiz
viel über die israelische Lebenswirklichkeit sowie Unterschiede zu
und Gemeinsamkeiten mit seiner eigenen aufzuzeigen vermag. Jeder
erfahrener Leser israelischer Literatur wird sich jedoch auf lange
Sicht mindestens einmal die Frage gestellt haben, warum er jene
andere Lebenswirklichkeit im Jüdischen Staat, wie sie uns tagtäglich
in den Fernsehnachrichten begegnet, in den Werken, die ihm in
deutscher Übersetzung angeboten werden, so gut wie nicht
widergespiegelt findet.
Eshkol Nevo, Arne Schneider, Arye Sharuz Shalicar/Foto: Stefan Röhl |
Wir sehen uns also seit
Jahrzehnten mit der außergewöhnlichen, nicht wenig absurden
Situation konfrontiert, dass der deutschsprachige Leser gerne mittels
unabhängiger Literatur etwas über die Befindlichkeiten Israels
erfahren möchte, aber über einen vergleichsweise langen Zeitraum
vom Institute for the Translation of Hebrew Literature
lediglich ein oberflächliches zionistisches Standardprogramm
angeboten bekommen hat, das sein berechtigtes Interesse an politisch
unabhängigen literarischen Sichtweisen auf mittelfristige Sicht
nicht zu befriedigen vermochte. Dieses beklagenswerte Dilemma vermag
die bestehende Praxis staatlich subventionierter Übersetzungen nicht
aufzulösen. Wir müssen im Gegenteil davon ausgehen, dass im bewusst
aufrecht erhaltenen Schatten staatlicher israelischer
Literaturförderung eine Fülle guter, aufschlussreicher, zum Teil
subversiver Literatur schlummert, die unter den gegebenen Umständen
für den deutschsprachigen Leser bis auf wenige Ausnahmen vermutlich
niemals gehoben werden wird.
Die deutschsprachigen
Verlage haben diese literaturferne Praxis in Kauf genommen und den
Leser auf diese Weise derart unterfordert, dass sein Interesse an
israelischer Literatur zwangsläufig erlahmen musste, weil er unter
diesem unvollständig-parteiischen Eindruck fälschlicherweise
glauben muss, sie habe ihm nichts zu bieten. Leider machen die Medien
und das hiesige Kulturestablishment unwissentlich gemeinsame Sache
mit dem israelischen Literaturförderungssystem: so werden Werke von
mediokren israelischen Autoren mit tadellosem zionistischen Leumund
in Unkenntnis ihrer nicht übersetzten Kollegen regelmäßig als
bedeutende Schriftsteller gepriesen und wieder andere, die aufgrund
ihrer Aussagen auch für den nicht allzu kritischen Betrachter leicht
dem linkskonservativen zionistischen Spektrum zuzuordnen sind, gelten
vollkommen zu Unrecht als Aushängeschilder der israelischen
Friedensbewegung. Das nachlassende Interesse deutschsprachiger Leser
an israelischer Literatur ist angesichts der oben dargelegten Gründe
also alles andere als verwunderlich, sondern muss als geradezu
zwangsläufiger Prozess enttäuschter Erwartungen betrachtet werden.
Dass diese Entwicklung zu Unrecht auch aktuelle Werke betrifft, die
man schon allein aus objektiven literarischen Gründen als
Bereicherung für den deutschen Buchmarkt beurteilen muss, ist ein
unangenehmer Nebeneffekt, den die betroffenen Verlage zumindest
vorübergehend hinnehmen müssen.
Israelisches Literaturmagazin "Biglal" |
Das scheinbar nachlassende
Interesse der allgemeinen Leserschaft an israelischer Literatur
sollte Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz jedoch
nicht dazu bewegen, weniger Übersetzungen aus dem Hebräischen zu
veröffentlichen, sondern allenfalls besser zu prüfen zu versuchen,
was das jeweilige herauszugebende Werk dem potentiellen Leser zu
sagen vermag, ohne dabei auf das erstbeste Angebot des Institute
for the Translation of Hebrew Literature hereinfallen zu müssen
– schließlich wird im Umkehrschluss ein israelischer Leser
ebenfalls wenig daran interessiert sein, die Lieblingsautoren von
Angela Merkel oder Sigmar Gabriel in hebräischer Übersetzung zu
lesen. Letztlich kann es für deutschsprachige Verlage in der Frage
israelischer Literatur jenseits naheliegender wirtschaftlicher
Erwägungen ohnehin nur eine einzige Maßgabe geben, die überdies
auch für die Literaturen aller anderen Sprachen zur Anwendung kommt:
die Erschließung guter Literatur ist immer ein Wagnis, für dessen
Gelingen es keinerlei Garantie geben kann. Gerade das macht die
Herausgeberschaft auf einem offenen Markt so spannend – letztlich
auch für den Leser.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.