Jerusalem

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Mittwoch, 11. September 2013

„Heute bin ich“ von Mies van Hout

Es ist in unserer stets um Selbstkontrolle ringenden Gesellschaft für den Einzelnen bei weitem keine Selbstverständlichkeit, sich der gesamten Bandbreite seiner möglichen Emotionen und Affekte nicht nur vollauf bewusst zu sein, sondern diese – sofern sie keinem anderen Menschen zu schaden vermögen – ganz unbefangen auch offen auszuleben: unserer ureigenen individuellen Menschlichkeit können wir auf diese Weise, ohne eine hinderliche Ahnung von Peinlichkeit oder Schuldgefühlen, nur umso deutlicher Ausdruck verleihen.

So ist es kein Zufall, dass ausgerechnet ein Kinderbuch – denn Kinder wollen wir doch umso mehr vor den eigenen Fehlern bewahren –, welches im Übrigen völlig zu Recht mit einem prominenten Eintrag auf der Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 in der Kategorie „Sachbuch“ geadelt wurde, den bewundernswerten, hochauf gelungenen Versuch unternimmt, diese einfache Binsenweisheit, nämlich dass es „okay ist, sich so oder so zu fühlen“, mit äußerst verfeinerten, aber absolut kindgerechten künstlerischen Mitteln genau so umzusetzen, dass man als naiver Betrachter intuitiv die tiefe, fundamentale Schönheit in den einzelnen darin porträtierten Emotionen zu entdecken vermag.



Die niederländische Künstlerin Mies van Hout hat in ihrem bereits im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung erschienenen wunderbar verspielten Bilderbuch „Heute bin ich“ mit auf schwarzem (Meeres-)Grund besonders verheißungsvoll leuchtenden bunten Pastellkreiden die gemeinhin eher als beispiellos unterkühlt-emotionslos verrufene Spezies der Fische in Szene gesetzt, die bei ihr in zwanzig verschiedenen „Stimmungsbildern“ in allen Regenbogenfarben enigmatisch schillern und auf geradezu genial verspielte Art aufs treffendste ihre jeweilige Stimmung offenbaren dürfen.

Laut Begründung der gewohnt sachlich formulierenden Jury vermitteln van Houts Zeichnungen „viele Impulse, um mit kleineren Kindern über die dargestellten Gefühle ins Gespräch zu kommen“. Dabei ist es ein offenes, ausgesprochen leicht zu durchschauendes Geheimnis, dass insbesondere Erwachsene sehr positiv auf dieses außergewöhnliche Buch reagieren, da diese – anders als Kinder – insbesondere in ihrem beruflichen Alltag in viel stärkerem Maße dazu neigen, essentielle Gefühle wie Neugierde, Zorn oder Langeweile nicht frei zu äußern.

So scheint es in letzter Konsequenz nur überaus folgerichtig, dass der Verlag – beflügelt vom verdienten Erfolg des Buches – nun auch ein schmuckes Briefkartenset mit den zwanzig einzelnen Bildmotiven des Buches herausgebracht hat, das neben seinem offensichtlichen Nutzen als künstlerisch-schönes Gebrauchsobjekt, mit dem man seine Mitmenschen auf wunderbare Art und Weise zu trösten, ermutigen oder zu überraschen vermag, nun ohne Zweifel auch mit großem Gewinn für therapeutische Zwecken bei Kindern wie auch bei Erwachsenen eingesetzt werden kann.



Es ist eine wahre Freude, selbst noch den verwackelten Strich der Nervosität, die zerzausten Schuppen des Neids, aber auch die gespitzten Lippen der Zufriedenheit, die weit geöffneten, fokussierten Augen der Neugier und die erhabene, selbstentrückte Pose des reinen persönlichen Glücks zu betrachten. Ein Porträt jedoch unterscheidet sich von allen anderen: hier dominiert der undurchdringlich-schwarze Untergrund des unbekannten Meeres, in das ein kleiner, besonders unauffällig aussehender Fisch mit sehniger, deutlicher Körperspannung unbeirrt und MUTIG hineinschwimmt. Eine solche nachhaltige Ermutigung, uns der gesamten Bandbreite unserer Gefühle immer wieder aufs Neue zu stellen, ist Mies van Hout mit ihrem einzigartiges Bilderbuch auf kongeniale Weise gelungen.

„Heute bin ich“, erschienen bei Aracari, 42 Seiten, € 13,90
Kunstkartenset „Heute bin ich“, 20 Bildkarten mit Umschlägen, erschienen bei Aracari, € 18,-

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