Jerusalem

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Samstag, 29. Juni 2013

„Femme fatale“ von Martin Walker

Das Krimi-Genre hat seinen Lesern im Verlauf der letzten Jahre eine erstaunliche Anzahl der exotischsten Schauplätze auf der ganzen Welt erschlossen, manchmal jedoch – wie wir immer wieder aus der Presse erfahren müssen – finden sich die größten Monstrositäten ganz unverhofft hinter der nächstnachbarlichen Haustür, und so scheint es kaum verwunderlich, dass sich viele deutsche Krimifans zuletzt mit großer Begeisterung auf jene Werke gestürzt haben, die ihre Handlung mit deutlich erkennbarem, oftmals satirisch überhöhtem spezifischen Lokalkolorit würzen, um das allseits bekannte und guter Literatur von jeher immanente heilsame Wiedererkennen im Leser noch zu forcieren.

Das wesentliche Problem vieler Lokalkrimis bleibt allerdings die den Nachahmungsmechanismen des Buchmarkts geschuldete ärgerliche Tatsache, dass literarische Kriterien immer häufiger hinter dem deutlich erkennbaren Bemühen der Verlage zurücktreten, dem Leser selbst zu den abwegigsten Unorten der deutschen Provinz einen Kriminalroman anbieten zu wollen.

Einen erfreulicher Sonderfall zwischen diesen beiden Extremen bilden die seit 2008 bei Diogenes in schöner Regelmäßigkeit erscheinenden, wunderbar-ergötzlichen, federleicht zu konsumierenden Périgord-Krimis des renommierten schottischen Journalisten und Schriftstellers Martin Walker (geboren 1947). Sein sympathischer Protagonist Bruno, ein ausgewiesener Feinschmecker, ambitionierter Hobbykoch und umsichtiger Kleinstadtpolizist mit Waffenphobie, ist die heimliche Seele seines beschaulichen fiktiven Heimatortes, der die selbst in der südwestfranzösischen Idylle mitunter aufkeimenden, alltäglichen Konflikte in aller Regel mit bewundernswertem diplomatischen Geschick und menschenfreundlich-besonnenem Weitblick bewältigt.

Und die ewig junge Frage, an der sich im Laufe der Jahrtausende schon Generationen von Philosophen, Esoterikern und Propheten erfolglos abgearbeitet haben, ohne eine befriedigende allgemeingültige Antwort geben zu können, die längeren Bestand haben könnte als eine verschwindend geringe Zeitspanne im Weltgefüge: nämlich ob der Zufall in der Welt existiert, beantwortet Martin Walker zumindest für die Region Périgord stets mit einem klaren Nein. Freilich ist allein die erhabene Position des „Schöpfers“ – wenn auch in diesem Fall die des literarischen – wie keine andere geeignet, Ereignisse von Vorsatz, Schicksal oder Synchronizität nicht nur aufgrund des eigenen exponierten Überblicks zu erkennen, sondern sie sogar bewusst herbeizuführen.

So dürfen wir zumindest als eifrige Walker-Leser wenigstens für die kurzweilige Dauer der Lektüre fest daran glauben, dass alle Dinge miteinander verbunden sind und der Sinn des Lebens vor allem darin besteht, dies zu erkennen und darüber hinaus mit wachen Sinnen einen unerschöpflichen Vorrat an genießerischen Augenblicken unbeschwerten Glücks anzusammeln, der uns möglicherweise über die zweifellos kommenden Momente von Not und Verzweiflung hinweghelfen wird.

Darüber hinaus verbinden die international erfolgreichen Bruno-Romane auf kunstvollste Art und Weise liebevoll porträtiertes, authentisches Lokalkolorit mit der Sehnsucht des Lesers nach Urlaub in einer für ihr Essen und ihre hochwertigen Lebensmittelprodukte weltweit bekannten Feinschmeckerregion. Gleichzeitig zeigt der politische Journalist Martin Walker darin immer wieder sehr elegant auf, wie sich globale soziale Prozesse zwangsläufig auch auf das Zusammenleben in scheinbar intakten ländlichen Gemeinschaften auswirken.



Das bildmächtige, vom Eindruck des gelungenen Covers noch eindrucksvoll gesteigerte Entrée zu Brunos jetzt erschienenem fünften Fall mit dem anspielungsreichen Titel „Femme fatale“ scheint geradezu filmreif: an einem entspannten, träge vor sich hinplätschernden Samstagmorgen treibt, während der örtliche Kirchenchor Bachs Matthäuspassion probt, ein einsames, herrenloses Ruderboot mit einer Aufsehen erregenden Fracht den Fluss herunter:

Die Frau konnte unmöglich noch am Leben sein. Sie war fast vollständig von Wasser überspült, nur die Brüste, das Gesicht und die Fußspitzen ragten daraus hervor. Die Haare fächerten sich wogend hinter ihrem Kopf, und die Hände schienen mit den Wellen zu spielen. Der Vogel hatte sich über ihr linkes Auge hergemacht, das andere schaute ausdruckslos zum Himmel empor. Dass die Frau sehr schön gewesen sein musste, war unverkennbar. Sie hatte eine makellose Haut und ein ebenmäßiges Gesicht. Nase und Kinn waren wohlgeformt, die Wangenknochen ausgeprägt. Bruno glaubte einen leichten Brandgeruch wahrzunehmen und etwas Öliges, das an Paraffin erinnerte. Neben der Leiche schwamm eine leere Wodkaflasche.

Die unbekannte, mit diabolischem Vorsatz künstlich im Boot drapierte Nackte erweist sich als fatale im doppelten Sinne: verhängnisvoll für sich ebenso wie für andere und – im dritten Wortsinn – als absolut tot. Die pathologische Untersuchung der Ermordeten offenbart schon bald schaurige Details ausgesprochen pikanter Todesumstände, die nahezulegen scheinen, dass die schöne Tote bei einer geheimen satanistischen Messe geopfert worden sein könnte.

Der mutmaßliche Tatort ist schnell identifiziert: ein in gräflichem Privatbesitz befindliches prähistorisches Höhlensystem, von dessen bisher erfolgreich geheimgehaltener Funktion als Veranstaltungsort für exklusive Sexparties sich clevere Strategen nun einen Aufschwung des lokalen Tourismus versprechen. Und während Bruno bei seinen weiteren Ermittlungen auf eine merkwürdige geschäftliche Verflechtung der französischer Waffenindustrie mit arabischem Terrorismus und internationalen Hedgefonds stößt, muß er sich wie gewohnt nicht nur der amourösen Avancen einer schönen Unbekannten erwehren, sondern wird auch wieder einmal mit seinen immer noch starken Gefühlen für seine zu einer nationalen Spezialeinheit in Paris versetzten Ex-Partnerin konfrontiert, deren Dienststelle aufgrund delikater internationaler Verwicklung – wie sich herausstellt – ebenfalls bereits in dem Fall zu ermitteln begonnen hat.

Auch in seinem fünften Périgord-Roman gelingt es Martin Walker mit leichter Hand und viel augenzwinkerndem Humor, drei unterschiedliche Fälle aufs Unterhaltsamste zu einem überaus spannenden Krimi zusammenzuführen, der Dank seines liebevoll beobachteten, lebensnahen Lokalkolorits und der mit Hilfe von Julia Watson, der Frau des Autors, einer renommierten Restaurantkritikerin und Food-Bloggerin, nachkochbar zusammengestellten und von Bruno im Verlaufe der Handlung persönlich zubereiteten Menüfolgen beinahe in der Lage ist, einen kompletten Urlaub in Südfrankreich im Geiste des Lesers zu ersetzen.

„Femme fatale“, aus dem Englischen von Michael Windgassen, erschienen bei Diogenes, 427 Seiten, € 22,90


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