Jerusalem

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Freitag, 12. April 2013

“Leben auf dem Mars” von Tracy K. Smith


Nicht gänzlich unerwartet wurde die 1972 geborene amerikanische Lyrikerin Tracy K. Smith im vergangenen Jahr nach der an sich schon ehrenvoll-prestigeträchtigen Aufnahme in das Jahrbuch Best American Poetry 2012 für ihren von Publikum und Literaturkritik gleichermaßen gefeierten dritten Gedichtband “Leben auf dem Mars” anschließend verdientermaßen sogar mit dem renommierten Pulitzer Preis für Lyrik desselben Jahres ausgezeichnet.

Da die in New York lebende Dozentin für kreatives Schreiben an der Princeton University hierzulande bis zu diesem Zeitpunkt lediglich einem gut informierten Fachpublikum bekannt war, darf es als ausgesprochen großer, geradezu prophetischer Wurf gelten, dass sich der kleine unabhängige Heidelberger Verlag Das Wunderhorn, ausgezeichnet mit dem Kurt-Wolff-Preis 2012, schon frühzeitig die Übersetzungsrechte für diesen großartigen, anspielungsreichen Band gesichert hatte, der auf geradezu alchemistische, aber stets spielerisch-leichte und ironische Art und Weise so unterschiedliche Disziplinen wie die Naturwissenschaften, Technik und die literarische und kinematografische sowie philosophische Science Fiction miteinander zu versöhnen scheint. “Leben auf dem Mars” ist – ungewöhnlich für ein Werk der modernen Poesie – noch im selben Jahr in deutscher Übersetzung erschienen.



Die in Kalifornien aufgewachsene Dichterin mit – laut Selbstporträt – “tiefen Wurzeln in Alabama” schafft es darin mit ihrer ebenso einfachen wie klaren, aber gleichzeitig ungeheuer assoziationsreichen Alltagsprache scheinbar mühelos, komplizierte Sachverhalte zugleich in mehreren parallel ablaufenden gedanklichen und lyrischen Dimensionen auszuloten und dabei trotzdem auch für den gewöhnlichen Leser immer ausgesprochen zugänglich zu bleiben.

Das poetisch imaginierte zukünftige “Leben auf dem Mars” ist dabei in der besten Tradition der literarischen Science Fiction natürlich lediglich ein philosophisches Vehikel zur Erkundung der menschlichen Lebensbedingungen im Allgemeinen sowie natürlich auch der besonderen Lebensbedingungen im Amerika der unmittelbaren Gegenwart. Dabei gelingt es Tracy K. Smith auf geradezu vorbildliche Art und Weise, selbst hoch persönliche Themen wie Liebe und Sex mit einer deutlich erkennbaren politischen Grundhaltung zu vereinen, ohne den Leser damit überwältigen zu wollen.

Leider gelingt es der Übersetzerin Astrid Kaminski nicht immer, der Autorin in allen für ihre Poesie charakteristischen Nuancen zu folgen. Ihre Nachdichtung bedient sich oft einer unangemessen künstlichen Sprache, die eine schmerzhafte Diskrepanz zur vielschichtigen, anspielungsreichen und doch im besten Sinne simplen Poesie der Dichterin aufscheinen lässt, die den Leser immer wieder unwillkürlich auf die ebenfalls in der deutschen Ausgabe enthaltenen Originaltexte zurückwirft.

Während die Übersetzerin in ihren nützlichen Anmerkungen zahlreiche tatsächliche oder auch vermeintliche Anspielungen aus der Popmusik auflistet, ersetzt sie in der deutschen Fassung eines der wichtigsten Texte des Bandes, im Gedicht “My God, It's Full Of Stars”, den Vornamen des dort genannten Schauspielers Charlton Heston durch “Charles” und lässt darüber hinaus alle von der Poetin beabsichtigten oder zufällig sich ergebenden Assoziationen zu Filmen wie “Die zehn Gebote” oder “Planet der Affen” einfach auf der Strecke.

Am besten funktioniert Astrid Kaminskis Übersetzung bei einem politischen Text wie dem sich auf die Rollen von Qumran beziehenden “They May Love All That He Has Chosen And Hate All That He Has Rejected”, dessen Grundton sich auch im Original eher distanziert-rational ausnimmt. Darin skizziert Tracy K. Smith sehr genau die sich gegenseitig überlagernden Mechanismen von negativistischem Fatalismus, politischem Chauvinismus und rassistischen Positionen im Amerika der Gegenwart:

Ich will ihre Stimmen nicht hören.
Will nicht hier stehen und Däumchen drehen, während sie
Herumzetern. Möchte einmal nicht wissen, was sie
Unter Wahrheit verstehen, oder welche Flaggen
An den Masten flattern, die sie auf ihre Dächer gepfropft haben.

Lass sie warten. Führ sie zur hinteren Veranda,
Wo sie sich anlehnen können, während die anderen essen.
Wenn sie Durst haben, gib ihnen einen Eimer und einen Zinnbecher.
Wenn sie krank werden, sag ihnen, dass kein Doktor vor Ort sei,
Und dass er Leute wie sie ohnehin nicht behandelte. Warn sie vor

Der Sorte Schwierigkeiten, in die man hier nach Einbruch
Der Dunkelheit geraten kann.

Und während sie im dritten Teil des Poems die Namen von Mördern und Amokläufern und deren unglücklichen, zum Teil willkürlich ausgewählten Opfern nennt, gibt sie im vierten Teil eben diesen Opfern auf ausgesprochen berührende und besonders wahrhaftige und lebenserhellende Art und Weise ganz unverkennbare eigene Stimmen, indem sie sie sehr persönliche Postkarten an ihre Mörder schreiben lässt, wie etwa diese der neunjährigen Brisenia Gonzalez, die im Jahr 2009 von Mitgliedern einer rassistischen Untergrundorganisation zusammen mit ihrem Vater erschossen wurde:

Liebe Shawna,

Alles okay bei Dir? Heute sind wir mit einem Boot zu einer Insel hinausgefahren. Es war kalt, obwohl die Sonne auf meinem Gesicht heiß war. Als wir aus dem Boot ausstiegen, gab es da eine Statue von einer heftig großen Dame. Mein Papa und ich fuhren den ganzen Weg rauf bis zu ihrem Kopf. Mein Papa sagt, wir wären nun frei und könnten alles machen, was wir wollen. Ich sagte ihm, dass ich gerne durch das Fenster springen und zurück nach Arizona fliegen würde. Ich hoffe, dass ich mal Tänzerin oder Tierärztin werde.

Alles Liebe,
Brisenia

Dieses Gedicht ist vielleicht sogar eines der besten, gelungensten und kunstvollsten Beispiele für die unendlichen Möglichkeiten moderner Lyrik, gerade auch wenn sie gleichzeitig politisch und unmittelbar zugänglich und persönlich sein will. Tracy K. Smith gehört spätestens mit diesem Band ohne jeden Zweifel zu den wichtigsten neuen Stimmen der zeitgenössischen Lyrik weltweit. Insofern ist es nur konsequent, wenn einen selbst die in jeder Hinsicht verdienstvolle Übersetzung letztlich wieder auf den großartigen Originaltext zurückwirft.

“Leben auf dem Mars”, aus dem Amerikanischen von Astrid Kaminski, erschienen bei Das Wunderhorn, 128 Seiten, € 17,90

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